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Die Zahl der deutschen Händler, die künstliche Intelligenz (KI) einsetzen, steigt rasant. Die Retail-Anwendungen werden immer vielfältiger und sind auch für KMU beherrschbar, wie eine Studie zeigt.
Handelsunternehmen erkennen zunehmend das Potenzial der Künstlichen Intelligenz und sehen es als sinnvolles Investitionsfeld. Das zeigt die vom Handelsverband Deutschland (HDE) veröffentlichte Studie «Künstliche Intelligenz im Handel». Für ein Drittel der befragten Unternehmen ist KI kein Hype-Thema mehr, sondern wird eingeplant oder genutzt. Bei vielen anderen Händlern sind die Vorbehalte aber noch immer gross. Als grösstes Hemmnis für die Durchführung eigener Projekte sehen die deutschen Händler noch immer fehlende KI-Anwendungsfälle. 67 Prozent der Befragten wünschen sich mehr konkrete Anwendungsfälle. 58 Prozent warten auf weiter sinkende Kosten und 56 Prozent auf einen grösseren Nutzen von KI-Projekten. Zudem stellt der Aufbau von fachlichem (42,2 %) und technischem KI-Know-how (37,8 %) für viele der befragten Unternehmen eine Herausforderung dar. Zumindest der Vorbehalt der fehlenden Anwendungen ist unbegründet, wie die Studie zeigt. «Da gibt es mehr sinnvolle Möglichkeiten, als vielen Unternehmen auf den ersten Blick klar ist», sagt der stellvertretende HDE-Hauptgeschäftsführer Stephan Tromp und betont: «KI ist die Zukunft.» Im Detail zeigt die Studie aber auch, dass die anderen Vorbehalte zunehmend an Bedeutung verlieren: Einerseits steigt der Nutzwert von KI-Anwendungen, andererseits wird die Hürde der technischen und personellen Voraussetzungen immer niedriger.
Sprunghafter Anstieg
Der Anteil der deutschen Händler, bei denen KI im Einsatz ist, ist in den vergangenen beiden Jahren sprunghaft angestiegen – von 13,1 Prozent im Jahr 2021 auf jetzt 23,5 Prozent. Die Top 5 der bereits realisierten Anwendungen sind «Kamerasysteme zum Diebstahlschutz am POS» (7,1 %), «Belegbearbeitung in der Buchhaltung» (6,6 %), «Allgemeine Absatzprognosen» (5,6 %), «Prüfung von Lieferantendaten» (5,1 %), «Personalbedarfs- und Personaleinsatzplanung» (4,6 %) und «Smart Shelfs zur Bestandsüberwachung» (4,6 %). Die Unternehmen bestätigen, dass die bereits implementierten KI-Anwendungen zu höherer Effizienz, besseren Geschäftsentscheidungen und einer Reduzierung von Fehlern beitragen können. Einzelne Handelsunternehmen wie zum Beispiel Markant Partner tegut (s. Markant Magazin 07/2023), der in der Studie erwähnt wird, optimieren mit komplexen KI-gestützten Lösungen bereits ihre Absatzplanung und Supply-Chain. Etliche andere Händler schaffen gerade die Voraussetzungen für künftige KI-Projekte, indem sie Mitarbeiter weiterbilden oder ihre IT-Infrastruktur optimieren.
Standardisierte Tools
Die Quote der Unternehmen, bei denen KI-Projekte einen hohen Stellenwert haben, hat sich im Zeitraum von 2021 bis 2023 mehr als verdoppelt – von 14,9 Prozent auf 31,8 Prozent. Ein Grund dafür könnte nach Ansicht der Studienautoren sein, dass in letzter Zeit eine grössere Zahl von Anwendungsfällen ermittelt wurde. Die bessere Verfügbarkeit von standardisierten Tools und Technologien dürfte ebenfalls dazu beitragen, dass KI immer praktikabler und wirtschaftlicher wird – auch für kleinere und mittelständische Unternehmen (KMU). «Die Fortschritte in den Bereichen Machine Learning, Computer Vision und Natural Language Processing haben es Unternehmen ermöglicht, ihre KI-Projekte effizienter und effektiver umzusetzen», heisst es in der Studie. Auch die ohnehin schon grosse Bedeutung von Cybersicherheit nimmt weiter zu und rückt neu in das Spektrum der KI-Anwendungen. KI-basierte Sicherheitslösungen helfen dabei, Angriffe in Echtzeit zu erkennen, darauf zu reagieren und Unternehmenssysteme und -daten zu schützen. Sogar die für viele Unternehmen wichtige Optimierung der Energieeffizienz profitiert laut Studie von KI: «Im Zusammenhang mit der Sicherheit der Energieversorgung bietet KI Lösungen zur Reduktion des Energieverbrauchs.»
Steigerung der Effizienz
In die Zukunft geblickt, planen die meisten Unternehmen den Einsatz von KI in Bereichen wie Marketing (42,5 %), IT (35 %), Logistik, Warendisposition, Supply-Chain-Management (32,6 %) oder Finanzen, Controlling (31,7 %). Konkret stehen die Optimierung der Lagerflächen bei 4,8 Prozent der Unternehmen auf der Agenda, gefolgt von der Automatisierung in der Sortimentsbearbeitung (4,8 %), Bestandsoptimierung mit Ereignisprognosen (4,5 %), Trenderkennung von Kundenbedürfnissen (4,2 %), Cross-Selling-Initiativen (4,2 %) und personalisierten Angeboten und Preisen (4,2 %). Mit seinen geplanten KI-Anwendungen verbindet der Handel hauptsächlich die Erwartung an Effizienzsteigerung, bessere Kundenbetreuung und personalisierte Angebote.
Boom der Cloud-Dienste
Um die Voraussetzungen für den Einsatz von KI zu schaffen, investieren die befragten Händler zunächst vor allem in die Weiterbildung der Mitarbeiter zum Thema KI (20 %), die Optimierung der IT-Infrastruktur (20 %) und die Nutzung von cloudbasierten KI-Diensten (14,6 %). Die Zahl der Unternehmen, die KI-Projekte auf einem (Cloud-)Dienst aufbauen, hat sich seit 2021 von 30,4 Prozent auf 63,6 Prozent mehr als verdoppelt, während die Entwicklung eigener Lösungen oder der Bezug von Individuallösungen von 43 Prozent auf 27,3 Prozent zurückgegangen ist. Diese Entwicklung zeigt laut Studie, dass Unternehmen erkennen, dass der Aufbau eigener Lösungen Zeit, Ressourcen und Expertise erfordert, die sie häufig nicht haben. Daher werden Standardlösungen oder Cloud-Dienste bevorzugt, die eine schnellere und kosteneffizientere Umsetzung der KI-Projekte ermöglichen, bei der man zudem auf externe Expertise zurückgreifen kann. Bei vielen Unternehmen ist deshalb auch in Zukunft die Einstellung von KI-Experten (76,2 %) oder die Entwicklung einer eigenen KI- und Datenstrategie (60 %) nicht geplant. Unabhängig davon ist aber ein professionelles Projektmanagement im eigenen Hause ein entscheidender Erfolgsfaktor, um die gesetzten Ziele in Bezug auf Projektumfang, -meilensteine, -budget und Qualitätsanforderungen zu erreichen. Acht von zehn Unternehmen halten das für relevant bis sehr relevant für den Erfolg. Laut Studie ist das ein weiteres starkes Indiz, dass im deutschen Handel viele Projekte über die Projektideen hinausgegangen und in weitere Phasen fortgeschritten sind.