Leistung wird belohnt, nicht Zeit

Dienstag, 01. Dezember 2020
Foto: Trendbüro

Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt nachhaltig. Aber auch die Corona-Pandemie trägt dazu bei. Das Markant Magazin spricht mit Trendforscher Prof. Peter Wippermann über die Arbeitswelt der Zukunft und welche Trends sie prägen werden.

Herr Wippermann, wie werden wir in Zukunft arbeiten?
Peter Wippermann: Wir haben eine Prozessentwicklung, die schon lange im Gange ist. Nämlich, dass wir vernetzt arbeiten. Durch die Corona-Pandemie entwickelt sich das hybride Arbeiten noch weiter, also die Flexibilität von zu Hause, vom Büro oder von jedem anderen Ort aus zu arbeiten, an dem wir Zugang zu den für unsere Arbeit benötigten Werkzeugen haben.

Sprechen Sie damit das Konzept «New Work» an?
Peter Wippermann:
New Work vertritt vor allen Dingen die Idee, dass wir aus der industriellen Arbeit ausscheren und in eine digital vernetzte Arbeitswelt eintauchen, in der der einzelne Arbeitnehmer viel mehr Freiheiten und Verantwortung hat und die Unternehmen Interesse daran haben, flexibler und agiler zu werden, als sie es in der Vergangenheit waren.

Was bedeutet dies für Unternehmen und deren Mitarbeiter?
Peter Wippermann:
Ich glaube, man kann die Corona-Pandemie nicht aus dem Entwicklungsprozess von New Work ausklammern. Die technische Infrastruktur in den Haushalten war schon immer vorhanden, bevor die Notwendigkeit kam, Konferenzen über das Netz abzuhalten. Die Individualisierung der Arbeit, das ist ja die Grundidee von New Work, hat bedingt durch COVID-19 einen enormen Schwung bekommen. Das Erstaunliche hierbei ist, dass wir jetzt einen Verlauf haben, der genau diese Situation umkehrt. Nämlich: Diejenigen, die zu Hause arbeiten wollen oder müssen, suchen jetzt die Gemeinsamkeit. Dies war ja früher durch den Arbeitsplatz gegeben. Dieser langfristige New-Work-Prozess bedeutet einen Übergang zum industrialisierten Arbeitsfeld, also eine Trennung von Arbeitszeit und Freizeit sowie vom Ort der Arbeit zum Privatleben. All das hat sich durch Corona stark verändert. Der soziale Kontext und damit die Fragestellungen «Wie arbeiten wir zusammen?», «Was sind meine Kollegen?», «Wie gehen die Vorgesetzten mit mir um?» waren auch ein emotionaler Prozess, der selbstverständlich mitlief mit der Arbeit. Das müssen wir in der hybriden Arbeitswelt neu suchen und erfinden.

Welche Grundlagen müssen hierfür geschaffen werden?
Peter Wippermann
: Die Grundlage der Zusammenarbeit muss natürlich Vertrauen sein, was nicht überall selbstverständlich ist. Tatsächlich ist es aber so, dass diejenigen, die Home- Working gemacht haben, länger gearbeitet haben, als wenn sie im Büro oder an ihrem Arbeitsplatz gewesen wären. Sie haben auch ein Interesse daran, ihre Arbeit gut zu machen, und wollen mit den Kollegen im Team erfolgreich sein. Es geht hier um Empathie und darum, auf andere einzugehen. Bei gut funktionierenden Unternehmen ist dies eine Selbstverständlichkeit, für virtuelle Unternehmen ist es eine neue Herausforderung, vor allem für die Führungsmannschaft.
Können Sie diese Herausforderung konkretisieren?
Peter Wippermann: Man hat in der Zukunft viel mehr Einzelkämpfer, und diese Einzelkämpfer müssen sozusagen projekthaft das Gefühl vermittelt bekommen, dass sie ein gemeinsames Team werden.

Wie bekommt man das hin?
Peter Wippermann:
Das versucht man im Bereich des agilen Arbeitens schon seit längerem auszuprobieren. Sprich, Menschen dazu bringen, ein Ziel zu verfolgen, unterschiedliche Aufgaben wahrzunehmen und sich permanent selbst zu fragen, ist der Weg, den wir gerade einschlagen, der richtige, oder müssen wir uns irgendwie verändern? Wir kommen ganz perspektivisch aus der Idee, Menschen müssen so arbeiten wie Maschinen. Das ist definitiv vorbei. Es geht vielmehr um kreative oder intuitive ­Arbeit, die Menschen leisten können, um Maschinen zu beauftragen, Dinge für sie zu tun.

Es geht nicht mehr um feste Arbeitszeiten, sondern eher um Effizienz und Effektivität?
Peter Wippermann:
Genau. Die Arbeitszeit wird nicht nach der Stechuhr bewertet. Vielmehr gibt es Aufgaben, die man bewältigen muss. Es wird die Leistung belohnt, nicht die Zeit.

Ist die Hybridisierung der Arbeit aus diesem Blickwinkel betrachtet auch aus ökonomischer Sicht interessant?
Peter Wippermann:
Auf jeden Fall. Es beinhaltet auch Rationalisierungseffekte. Das kann man heute schon sehen, wenn man die Immobilienmärkte in den USA anschaut. Man geht davon aus, dass viele gerne von zu Hause arbeiten. In dem Kontext stellen sich dann die Fragen: «Wie viele Stunden pro Tag arbeite ich von zu Hause aus?», «Wie viele Tage bin ich präsent?», «Wie sieht mein Arbeitsplatz zu Hause aus?». Letzten Endes fallen auch Kosten an. Sprich, es müssen die Bedingungen neu ausgehandelt werden.

Wird es in Zukunft noch fixe Arbeitsplätze geben?
Peter Wippermann:
Das Büro, wo man zusammenkommt, wird sich neu erfinden. Es hat sich ständig verändert – von Einzelbüros zu Grossraumbüros bis hin zu Co-Working-Places. Das sind alles Entwicklungen, die sich immer eingestellt haben, wenn die Arbeit sich verändert hat. Egal, ob Büroarbeitsplätze oder Dienstleistungsarbeitsplätze – wir werden gemeinsame Räume haben, wo wir zusammenkommen, um Dinge zu besprechen, wo wir teilweise auch arbeiten. Der feste Arbeitsplatz ist in vielen Grossbetrieben bereits heute schon keine Selbstverständlichkeit mehr. Da gibt es weniger feste Arbeitsplätze als Mitarbeiter.

Was bedeutet dies im Speziellen für den stationären Handel?
Peter Wippermann
: Hier ist es vor allen Dingen interessant zu sehen, dass die Automatisierung im stationären Handel weit vorangekommen ist, vor allem auch durch die Digitalisierung während der Corona-Zeit. Es wurden viele Bereiche automatisiert wie etwa der kassenlose Check-out-Bereich. Hier fangen Veränderungen in der Arbeitswelt an, die in der Bürowelt bereits heute schon sichtbar sind. In den USA sind diese Veränderungen deutlicher zu beobachten als bei uns.

Das bedeutet die Entfesselung des Arbeitsortes?
Peter Wippermann
: Genau. Remote- ­Working, die Arbeit aus der Distanz, wird auf jeden Fall Bestand haben. Und Home-Working wird nicht die Ausnahme sein, sondern die Norm werden. Klar ist, dass Arbeitnehmer kein Interesse daran haben, fünf Tage in der Woche präsent zu sein. Dieses Interesse wird im Übrigen von den Unternehmen auch geteilt. Insofern geht es darum, wo man sich dann trifft.

Unterliegt die Arbeit der Zukunft auch einem Wertewandel?
Peter Wippermann:
Gesundheit  ist der wichtigste Wert der Deutschen. Das wird auch nach der Corona-Krise so bleiben. Gesundheit bedeutet allerdings nicht nur die Abwesenheit von Krankheit: Gesundheit bedeutet auch, flexibel zu sein, leistungsfähig zu sein, sich neu orientieren zu können – auch in noch nie zuvor dagewesenen Situationen. Bedingt durch die Pandemie werden Arbeitsplätze umgerüstet. Es wird in Umluftanlagen investiert, ferner werden verschiedene Oberflächen jetzt auch sensorempfindlich. Unter dem Aspekt der Gesundheit wird noch sehr viel passieren.

Welche Entwicklungen werden die Zukunft der Arbeit prägen?
Peter Wippermann:
Wir haben eine globale Krise, die unsere Gesundheit bedroht, und eine grössere Krise, die unsere Existenz bedroht, nämlich die Klima-Krise. Viele Unternehmen haben sich schon ansatzweise darauf eingestellt. Das deutet darauf hin, dass  die gesellschaftliche Haltung, die ein Unternehmen hat, in Zukunft viel wichtiger wird, als in der Vergangenheit. Der Sinn des Unternehmens wird eben nicht nur Geldproduktion sein.

Welche Schlussfolgerung lässt sich daraus ziehen?
Peter Wippermann:
Wir sind technologisch viel weiter als wir es kulturell sind. Das ist kein guter Umstand. Besser wäre eine Balance zu haben beziehungsweise zu schaffen. Daran gilt es zu arbeiten.

Weitere Infos finden Sie unter: www.peterwippermann.com und www.trendbuero.com/de/

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Vita

Peter Wippermann ist Trendforscher, Berater, Autor und Keynote-Speaker für Zukunftsthemen. 1992 gründete er das Trendbüro und führte die Trendforschung in den deutschsprachigen Raum ein. Von 1993 bis 2016 lehrte er als Professor für Kommunikationsdesign an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Zudem war er Mitgründer des «Büro Hamburg – Agentur für Kommunikationsdesign» und der Lead Awards für Mediendesign und Medienmarketing.

Peter Wippermann ist Autor zahlreicher Publikationen wie «Leben im Schwarm. Die Spielregeln der Netzökonomie» und zuletzt „Lebe lieber froh! Neue Strategien für ein zufriedenes Leben». Zudem war er Herausgeber des Trendmagazins „inspire» der ProSiebenSat1 Gruppe sowie des Zukunftsmagazins «Übermorgen» von Philip Morris. Für das «Jahr der Werbung» wirkte er bis 2017 als Herausgeber. Er war Beiratsmitglied des Nestlé Zukunftsforums sowie des Coca-Cola Happiness-Institut. 

Seine aktuellen Studien widmen sich Themen wie New Normal, wie lebt Deutschland in der Post-Corona-Welt?, Werte-Index 2020, TrendMap 2025 des Handwerks, Casual Banking, Zukunft des Handels, New Work, Ernährungstrends oder auch der Wellnessindustrie. Mit dem Trendbüro und Kantar veröffentlicht er seit zehn Jahren den «Werte-Index», der sich mit dem Wertewandel in Deutschland befasst.

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Seit über zehn Jahren gilt der Werte-Index als Kompass für die Bedeutung und Relevanz von Werten der deutschen Web-User. Neu ist, dass dabei auch auf demografische Unterschiede wie Alter und Geschlecht eingegangen wird. Die Ergebnisse aus der Social-Media-Analyse werden um Beobachtungen aus der Trendforschung ergänzt. Ausserdem berichten Experten und Unternehmensvertreter, was der Wertewandel in ihrer Praxis bedeutet und welche Chancen sich für sie ergeben. Unternehmen erhalten Inspirationen und konkrete Handlungsempfehlungen, wie sie auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren können.

ISBN-13: 978-3866413313
Herausgeber: Peter Wippermann, Jens Krüger
Handel: Auch als E-Book oder in anderen Digitalformaten bei allen bekannten Anbietern erhältlich