Für mehr Bewusstsein

Mittwoch, 06. November 2019
Foto: CDU Rheinland-Pfalz

Tierwohl, Lebensmittelpreise und Lebensmittelverschwendung – das sind zentrale Anliegen von Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft. Das MARKANT Magazin hat die CDU-Politikerin dazu befragt.

Frau Klöckner, wo kaufen Sie ein? Und was ist Ihnen beim Kauf von Lebensmittel wichtig?
Ich achte darauf, dass die Lebensmittel aus der Region kommen. Fleisch oder Eier bekomme ich häufig direkt vom Bauernhof. Bei frischem Obst und Gemüse ist mir wichtig, dass es Saison hat – das ist besser für das Klima und den Geldbeutel, besonders gut für den Geschmack. Mir ist es ein Anliegen, die Landwirte und Betriebe vor Ort zu unterstützen. Vielen Bürgerinnen und Bürger ebenfalls, das zeigt der aktuelle Ernährungsreport meines Ministeriums. Gut so. Aber klar, ich gehe auch in den Supermarkt einkaufen, wenn es schnell gehen muss.

»Tierwohl gibt es nicht zum Nulltarif. Es muss honoriert werden.«

Sie haben neben den bereits vorhandenen Tierwohlprogrammen ein staatliches Tierwohllabel auf den Weg gebracht. Warum?
Mit dem staatlichen Tierwohlkennzeichen schaffen wir mehr Transparenz für die Verbraucher und weiten die Vermarktungschancen für Landwirte aus, die in Tierwohl investieren.

Unser Kennzeichen ist wie das Bio-Siegel eine Positivkennzeichnung für Produkte, die über dem gesetzlichen Standard liegen. Der Verbraucher erkennt so auf einen Blick, wo mehr Tierwohl drinsteckt – und warum es mehr kostet. Investitionen in Tierwohl werden damit auf der Verpackung sichtbar und an der Kasse honoriert. Die Landwirte, die mitmachen, haben dann einen Vorteil im Wettbewerb. Es gilt: Nur, wer verbindlich und nachprüfbar höhere Kriterien einhält und so mehr für das Tierwohl tut, darf mit dem Kennzeichen werben. 

Und da Sie bestehende Label ansprechen: Unser Tierwohlkennzeichen ist ambitionierter, nimmt alle Lebensphasen des Tiers in den Blick: von der Geburt bis zur Schlachtung, mit eigenen Kontrollen. Das macht seine Vertrauenswürdigkeit aus und gibt den Verbrauchern so Orientierung inmitten der Label-Vielfalt – es wird herausstechen. 

Damit höhere Tierwohlstandards auf den Höfen die Regel werden, müssen viel mehr Verbraucher als bisher die teureren gelabelten Produkte kaufen. Wie können freiwillige Tierwohlprogramme diesen Zweck erfüllen?
Mehr Tierwohl gibt es nicht zum Nulltarif. Die Verbraucher, die in Umfragen regelmässig in grosser Mehrheit kundtun, mehr Geld für mehr Tierwohl zahlen zu wollen, nehmen wir mit dem staatlichen, verlässlichen und anspruchsvollen Tierwohlkennzeichen beim Wort. Ein solches, glaubwürdiges Label fehlt bisher. Ich bin überzeugt: Der Markt dafür ist da. Das zeigen Beispiele anderer Länder. Dänemark etwa hat gute Erfahrungen gemacht und bereits eine Marktdurchdringung von 20 Prozent. Die Einführung des Tierwohlkennzeichens soll zudem durch umfassende und medienwirksame Informationen begleitet werden. Denn für den Erfolg des Kennzeichens ist es wichtig, den Verbraucher den Mehrwert des Tierwohlkennzeichens zu erklären und seine Bekanntheit zu steigern sind.

»Der Wunsch der Verbraucher ist da.«

Welche Herausforderungen kommen speziell auf den Handel zu, damit die Zielsetzungen des staatlichen Tierwohlkennzeichens erreicht werden können?
Ich sehe vor allem Potential für den Handel – gerade mit Blick auf die positiven Erfahrungen in anderen Ländern. Wie gesagt: Der Wunsch der Verbraucher ist da. Einerseits nach mehr Tierwohl, andererseits nach einer staatlichen Tierwohlkennzeichnung – das zeigt unser aktueller  Ernährungsreport. Und was nachgefragt wird, wird letztlich auch angeboten. 

Viele Menschen wissen heute nur noch wenig über Landwirtschaft. Auch die niedrigen Preise suggerieren, als sei Nahrung im Überfluss vorhanden. Wo können Erzeuger und Händler ansetzen, um die Wertschätzung von Lebensmitteln in der Bevölkerung zu erhöhen? 
Das ist ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt. Denn wir merken, dass der Bezug zur Urproduktion oft verloren geht. Tatsache ist, dass in Deutschland vergleichsweise wenig des verfügbaren Haushaltseinkommens für Lebensmittel ausgegeben wird. Durchschnittlich sind es neun Prozent. Unabhängig davon halte ich es für absolut falsch und auch moralisch verwerflich, tierische Produkte, überhaupt landwirtschaftliche Erzeugnisse, als Lockprodukte für das wöchentliche Werbeprospekt zu nehmen. Das entwertet die Arbeit unserer Bäuerinnen und Bauern und suggeriert dem Verbraucher, dass unsere Mittel zum Leben billig zu haben sind. Weshalb sollte er beim nächsten Einkauf dann mehr zahlen für Fleisch, Obst oder Gemüse? Das ist kontraproduktiv für alle Bemühungen, die wir seit Jahren unternehmen, um für mehr Wertschätzung für unsere Lebensmittel zu werben. 

»Gesunde Ernährung ist auch mit kleinem Geldbeutel möglich.«

Welche Möglichkeiten sehen Sie auf politischer Ebene, um einen Bewusstseinswandel in Richtung Klasse statt Masse zu unterstützen? 
Viele Menschen müssen jeden Cent umdrehen. Gesunde, ausgewogene Ernährung muss daher auch mit kleinem Geldbeutel möglich sein. Und sie ist es – in Deutschland haben wir eine grosse Auswahl an hochwertigen und sicheren Lebensmitteln. Aber eines muss uns auch bewusster werden: Unsere Mittel zum Leben müssen uns etwas wert sein. Unser staatliches Tierwohlkennzeichen macht hier ein Angebot für verschiedene Geldbeutel, hat drei Stufen. So tragen wir dem gesellschaftlichen Wunsch nach mehr Tierwohl – nach Klasse statt Masse – umfassend Rechnung. Grundsätzlich bin ich überzeugt, dass man mit dem moralischen Zeigefinger nicht viel erreicht. Nur mit guten Argumenten, mit Einsicht, also mit Information, Bildung und Wissen. 

Frau Ministerin, was ist aktuell Ihr grösstes Anliegen an die Entscheidungsträger im Lebensmittelhandel?  
Dass sie ethisch-moralische Fragen unserer Gesellschaft aufnehmen und sich einbringen. Einiges wurde ja bereits angesprochen. Der Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung ist ein weiterer Punkt, bei dem sich der Handel beteiligen muss – und wird. Denn wir stehen hier vor einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, mit meiner Nationalen Strategie zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung nehme ich daher alle Sektoren in die Pflicht. Hier spielt auch der Handel eine entscheidende Rolle.

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Vita

Julia Klöckner ist seit März 2018 Bundes­ministerin für Ernährung ­und Landwirtschaft, seit 2012 eine von fünf stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden und seit 2010 Landesvorsitzende der CDU Rheinland-Pfalz.

Von 2002 bis 2011 war sie Mitglied des Deutschen ­Bundestages und 2009 bis 2011 Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. 2011 bis 2018 gehörte sie dem rheinland-pfälzischen Landtag an.