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Zu den Vordenkern des Neuromarketings zählt Diplom-Psychologe Dr. Hans-Georg Häusel. Das Markant Magazin ONE hat mit dem führenden Experten in der Marketing-, Verkaufs- und Management-Hirnforschung darüber gesprochen, was Kunden wirklich wollen und wie das «emotionale Betriebssystem» ihre Entscheidungen steuert.
Der typische Konsument – wie würden Sie diesen beschreiben? Gibt es Gemeinsamkeiten?
Dr. Hans-Georg Häusel: Wir alle konsumieren gerne. Dabei gibt es zwei Formen des Konsums: den lustvollen Konsum und den Alltagskonsum. Beim lustvollen Konsum greift der Verbraucher zur Schokolade, beim Alltagskonsum eher zum Toilettenpapier. Vor allem aber sucht der Shopper den lustvollen Konsum. Insgesamt bedeutet Konsum, seine Emotionssysteme und die daraus entstehenden Wünsche zu befriedigen. Das ist bei allen Menschen gleich. Sie unterscheiden sich lediglich in der Richtung ihrer Wünsche und in der Stärke ihrer Wünsche.
Wie fällt der Konsument seine Kaufentscheidung? Bewusst oder unbewusst?
Dr. Hans-Georg Häusel: Für ihn selbst ist es bewusst, weil er nicht weiss, was in seinem Unbewussten vorgeht. Wir haben immer das Gefühl, wir haben den Steuerknüppel fest in unserer Hand und wir entscheiden frei. Dabei können wir gar nicht sehen, was vorher in unserem Unbewussten alles abgelaufen ist. Wir haben keinen Einblick, warum wir etwas kaufen. Zunächst mal kommt es aus unseren Emotionssystemen heraus. Unser Konsum hat auch einen starken kulturellen Einfluss. Der ist uns nicht sonderlich bewusst. Das heisst also, da gibt es ganz viele unbewusste Einflüsse, die uns nicht klar sind. Wir haben immer das Gefühl, wir entscheiden frei und selbstständig. Allerdings ist es so, dass rund 70 Prozent unserer Entscheidungen unbewusst und nur 30 Prozent bewusst gefällt werden. Jetzt weiss aber keiner, was Bewusstsein so genau ist. Deswegen ist jede Zahl immer auch eine Spekulation. Aber die Hirnforschung sagt relativ klar und deutlich, das Unbewusste dominiert das Bewusste.
Welche Rolle spielen hierbei die Emotionen?
Dr. Hans-Georg Häusel: Hinter allem, was wir tun, stecken die Emotionen. Hier steckt auch das Wort Motion drin – Bewegung. Und es gibt nichts, was nicht einen emotionalen Hintergrund hat. Egal was der Shopper kauft, egal was er tut, er wird immer von seinen Emotionen im Hintergrund angetrieben. Emotionen sind jedoch etwas anderes als Gefühle. Das wird oft verwechselt. Gefühle sind das Endergebnis, wenn die Emotionen wirksam waren. Aber alles, was der Verbraucher unternimmt, läuft emotional ab und hat einen emotionalen Antrieb.
Gibt es unterschiedliche Emotionstypen? Wie kann der Handel diese erfolgreich ansprechen?
Dr. Hans-Georg Häusel: Unsere Emotionen sind die Basis unserer Persönlichkeit. Es gibt vier grosse Emotionssysteme. Das Balance-System steht für Sicherheit und Stabilität. Unser Wunsch nach Harmonie, Geborgenheit, menschlicher Wärme und Fürsorge ist unser Harmoniesystem. Wir haben ein Stimulanz-System, das ist für die Neugier zuständig und wir haben ein Dominanzsystem, das ist unser egoistisches System. Es gibt uns vor, uns durchzusetzen, den anderen zu verdrängen. Die Emotionssysteme sind bei den Verbrauchern jedoch sehr unterschiedlich ausgeprägt. Ein Shopper mit einem starken dominanten System liebt Status-Produkte. Ein Verbraucher mit ausgeprägtem Stimulanz-System sucht eher nach Erlebnissen. Jemand mit dem Harmonie-System möchte einfach gut und geborgen sein und jene mit dem Balance-System sind in der Regel extrem sparsam und legen keinen Wert auf Status. Der Handel ist daher gut beraten, sich zu überlegen, wer bei ihm einkauft. Bei Lebensmitteln ist der Unterschied der Persönlichkeiten jedoch nicht so gross wie es beispielsweise beim Autokauf oder beim Einrichtungskauf ist. Allerdings kann sich der Handel im Finetuning seiner Sortimente auf seine Zielgruppen einstellen.
Was muss der Handel tun, um auf der Fläche positive Emotionen zu stimulieren?
Dr. Hans-Georg Häusel: Unser Gehirn hasst Stress. Das kommt vor allem aus dem Balance-System heraus. Das Balance-System möchte Sicherheit, Stabilität, keine Komplexität. Das erste, was der Handel also tun sollte, ist es, dem Konsumenten ein stressfreies Einkaufen zu ermöglichen. In dem Moment, wenn wir unter Stress stehen, wenn wir lange nachdenken müssen oder wenn wir unsicher sind, vermeiden wir den Einkauf. Das heisst, die erste grosse Forderung an den Handel lautet: Mache es deinem Kunden so einfach wie möglich. Easy Shopping habe ich das immer genannt. Zudem sollte der Handel für Inspiration sorgen. Daher lautet meine zweite Empfehlung an den Handel: Zeige dich von deiner schönsten Seite und präsentiere die Ware genussorientiert.
Lässt sich auch die Verkaufsargumentation am POS emotionalisieren?
Dr. Hans-Georg Häusel: Na ja, findet denn überhaupt eine Verkaufsargumentation statt? Fragen wie «Was wünschen Sie?» oder «Wie viel Gramm Leberkäse hätten Sie gerne» ist keine Kommunikation, das ist Information. Das Ganze erfährt nur dann eine emotionale Aufwertung, wenn der Verkäufer das Besondere am Produkt hervorhebt und das Storytelling dazu beherrscht. In Gesprächen können die Emotionen durchaus ein Stück weit verstärkt werden. Das ist jedoch sehr mühsam und habe ich bislang auch nie erlebt.
Spielen beim Service Emotionen ebenfalls eine Rolle?
Dr. Hans-Georg Häusel: Auch Service lässt sich emotionalisieren, wenn man die Emotionssysteme im Kundengehirn kennt und durch entsprechende Service-Leistungen adressiert. Bezogen auf das Beispiel Lieferservice bedeutet Trust-Service eben Lieferzuverlässigkeit. Trust-Service würde auch bedeuten, dass die Ware, die der Kunde vorher nicht im Laden rausgesucht hat, von hoher Qualität ist. Happy-Service heisst, dass der Kunde zur Bestellung eine Gratisprobe erhält und der Fahrer beim Ausliefern dies emotional noch verstärkt mit den Worten «Für Sie zum Probieren – ist ganz frisch». Diese menschliche Art ist besonders wichtig. Beim Power-Service geht es darum, dass die Lieferung so schnell wie möglich erfolgt.
Welche Knöpfe hat der Handel noch nicht gedrückt?
Dr. Hans-Georg Häusel: Das Hauptproblem sind die Mitarbeiter. Sie sind freundlich und nett, aber da könnte man deutlich mehr machen. Denn der Mensch ist für den anderen Menschen der wichtigste Faktor überhaupt. Wenn es gelänge, sowohl in den Bedienungs-Theken als auch an der Kasse mehr auf Emotional Boosting zu setzen, könnte sich der Handel entscheidende Wettbewerbsvorteile sichern. Das ist aber auch eine Frage der Führungsphilosophie. Die Führung muss an die Mitarbeiter klar kommunizieren, dass eine kundenfreundliche Ansprache ein Teil der Identität des Unternehmens ist und dies vor allem auch vorleben.
Warum hat Geld beim Verbraucher so einen hohen Stellenwert. Was lösen die derzeitigen Preiserhöhungen bei ihm aus?
Dr. Hans-Georg Häusel: Ganz einfach, weil er mit Geld alle seine Wünsche erfüllen kann. Er kann in den Urlaub fahren oder ein neues Auto kaufen. Alle diese Wünsche und Motive sind aber höchst emotional. Geld ist ein generalisiertes «Wertsymbol». Es ist ein «Universal-Joker» zur Befriedigung all seiner Wünsche. Wenn er jedoch Geld hergeben muss, dann ist das Zahnschmerz-Zentrum im Gehirn aktiv. Muss er dann noch mehr Geld fürs gleiche Produkt ausgeben, dann schmerzt ihn das noch mehr. Der Handel kann hier nur versuchen, mit Emotional Boosting dem etwas entgegenzuwirken.
Nachhaltigkeit wird von den Konsumenten in Umfragen oft als Top-Kriterium für ein bewusstes Leben und Konsumverhalten genannt. Wie bewerten Sie diese Aussage?
Dr. Hans-Georg Häusel: Nachhaltigkeit ist ein soziales Thema. Das heisst, ich möchte sozial gefallen und deswegen stimme ich bei solchen Befragungen immer zu. Das konkrete Verhalten sieht jedoch anders aus. Wenn die Nachhaltigkeit mich etwas kostet oder wenn ich aufgrund der Nachhaltigkeit auf etwas verzichten muss, dann hört es mit dem Bekenntnis der Nachhaltigkeit relativ schnell auf. Nicht bei allen, aber doch bei ganz vielen Menschen. Sie sind der Auffassung, dass Nachhaltigkeit recht und gut ist, aber mehr kosten darf es halt nicht. Nachhaltigkeit bedeutet in erster Linie für uns alle zunächst mal Verzicht. Allerdings ist unser Belohnungssystem im Gehirn nicht auf Verzicht, sondern auf Steigerung eingestellt. Wir wollen immer mehr. Früher ist man nach Österreich in den Urlaub gefahren, heute fliegt man auf die Malediven. Hat vor Jahren ein Auto mit 20 PS ausgereicht, müssen es jetzt 200 PS sein. Der Mensch ist auf Steigerung eingestellt und nicht auf Verzicht. Und das macht die Nachhaltigkeit auch so schwierig.
Glauben Sie, dass die aktuellen Krisen einen anhaltenden Bewusstseinswandel auslösen? In welche Richtung könnte dieser gehen?
Dr. Hans-Georg Häusel: Es kommt darauf an, wie lange die Krise noch geht und wie lange wir uns vor allem noch mit den Energiekosten herumschlagen müssen. Solange die Energiekosten so hoch sind, dann kann das schon zu einem Bewusstseinswandel in Richtung verantwortungsvoller Umgang mit Energie führen. Ich glaube aber nicht, dass ein Bewusstseinswandel dahin führen wird, dass man auf eine neue Bluse oder Hose verzichtet. Da wäre ich zurückhaltender. Aber ein verantwortungsvoller Umgang mit Energie, das wird schon passieren.