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Shutdown, Online-Boom und die Zeit nach Corona: IFH-Geschäftsführer Dr. Kai Hudetz sieht den Lebensmittelhandel gut positioniert – erkennt aber auch Verbesserungspotenzial.
Herr Dr. Hudetz, Umsatzeinbrüche hier, ausverkaufte Regale dort – im Zuge von Corona wurden viele Marktmechanismen ausgehebelt. Glauben Sie, dass wieder Normalität in den Märkten einkehrt, oder erwarten Sie gravierende Änderungen?
Ja, es wird wieder Normalität einkehren. Die Frage ist allerdings, ob es exakt die gleiche Normalität wie vorher sein wird. Ich glaube schon, dass relevante Veränderungen aktuell stattfinden und weiter stattfinden werden und erwarte zwei Entwicklungen. Viele Konsumentinnen und Konsumenten haben aufgrund von Einschränkungen im stationären Handel die Chance von Online-Käufen ergriffen und werden diese nach positiven Erfahrungen auch weiterhin nutzen. Die zweite Entwicklung wird die sein, dass die Menschen nach der langen Isolation froh sind, wieder in der Stadt bummeln und in den Geschäften etwas entdecken zu können.
Wie schätzen Sie die Gefahr ein, dass sich die Verbraucher nach monatelangem Shutdown an einen Konsumverzicht gewöhnt haben und diesen aufrechterhalten?
Insgesamt werden jetzt viele Dinge – Reisen, Konsum, ökologische Fragen, Nachhaltigkeit – vom Verbraucher stärker hinterfragt. Eine gewisse Zeit lang wird also sicherlich eine Entschleunigung stattfinden. Möglicherweise werden kostspielige Anschaffungen erst einmal aufgeschoben. Das zeigen auch die Ergebnisse unserer Studie «Corona Consumer Check». Ich glaube aber nicht, dass es in einen grösseren anhaltenden Konsumverzicht mündet. Covid-19 sorgt aber auch für Beschleunigungen und Verstärkungen von Trends, etwa bei der Konzentration im Handel.
Die Schliessung praktisch aller Fachgeschäfte hat viele Konsumenten ins Internet getrieben. Gibt es dazu Zahlen?
Unser Corona Consumer Check zeigt, dass 13 Prozent der Befragten Einkäufe, die sie normalerweise stationär tätigen, ins Internet verlagert haben. Die Top-5-Online-Käufe waren Hygieneartikel, haltbare Lebensmittel, Getränke, Kleidung/Schuhe und Tierbedarf. Nicht nur bei Einmalhandschuhen haben sich die Online-Umsätze versechsfacht, auch bei Brotbackautomaten. Die meist genutzten Online-Anbieter waren Amazon, Lieferdienste wie Bringmeister, Ebay sowie Essens- und Getränkelieferdienste.
Welche Impulse wird das Online-Geschäft mit Lebensmitteln und FMCG erfahren?
Was nach der Krise passiert, ist ein Stück weit eine Glaubensfrage. Das Problem, Lebensmittel und FMCG online zu vermarkten, ist vielfach eine Frage der Preisstellung dieser besonders preissensiblen Sortimente. Aktuell erleben wir eine Art Sonderkonjunktur, weil die Konsumentinnen und Konsumenten bereit sind, dafür online mehr zu bezahlen. Danach werden sich aber wieder die Preisargumente durchsetzen und eine Rückkehr zum stationären Handel einsetzen, zumal dieser auch noch eine unübertroffene Sortimentstiefe bietet.
Wie steht der stationäre Handel nach der Krise beim Verbraucher da?
Die Verbraucher zollen dem stationären Handel aktuell hohen Respekt, trotz der vorübergehenden Engpässe, die ihm selbst aber gar nicht angekreidet werden. Seine traditionellen Stärken, nämlich Preis und Auswahl, bleiben auch nach der Krise gefragt. Ganz wichtig ist auch das Vertrauen, das sich der Handel über Jahrzehnte mit Frische, Verfügbarkeit, funktionierenden Kühlketten und anderen Qualitätskriterien aufgebaut hat. Und natürlich mit seiner Preisleistung, die vielleicht jetzt noch wichtiger wird.
Für viele Fachhändler sind Online-Kanäle – eigene Webshops oder Plattformen – ein zweites Standbein geworden. Muss der LEH jetzt auch online aktiver werden?
Ja, das sollte er auf jeden Fall. Allein schon, um seine Kommunikation digital auf die Höhe der Zeit zu bringen, um mit Unterstützung von Kartendaten digitale und personalisierte Angebote zu erstellen. Die aktuelle Krise lehrt: Wenn klassische Kontaktpunkte wegfallen, müssen neue digitale geschaffen werden. Der Handel muss unbedingt auch versuchen, digitale Services als Premiumservices anzubieten. Das könnte zum Beispiel
eine Liefergebühr sein für wirklich exzellenten Service.
Welche Komponenten ausser dem reinen Warenangebot sind für den Erfolg eines eigenen Online-Shops heute entscheidend?
Grundsätzlich erwartet der Verbraucher heute einen hochprofessionellen OnlineShop, der in allen Belangen funktioniert und eine hohe Customer-Experience bietet. Ware allein reicht jedenfalls nicht, denn das bietet jede Plattform. Wichtig ist es, echten Nutz- und Mehrwert zu schaffen, sich ergänzende Warenwelten zusammenzustellen und mit einem Story-Telling zu begleiten. Gerade der LEH mit seiner exzellenten Warenkunde hat hier einzigartige Möglichkeiten, den Verbraucherinnen und Verbrauchern online Informationen über die Produkte oder Beratung etwa zu Allergenen zu liefern. Das Stichwort lautet: Kuratieren.
Welche drei grossen Veränderungen erwarten Sie in zehn Jahren in der Handelslandschaft?
Wir sehen, dass Corona wie ein Brennglas wirkt. Bestimmte Entwicklungen beschleunigen sich, andere erfahren eine Entschleunigung. Der E-Commerce wird in allen Kategorien Zuwächse erfahren. Es werden viel intelligenter vernetzte Offline-Online-Konzepte als bisher entstehen. Damit werden die Kundinnen und Kunden noch nahtloser und intensiver angesprochen. Auch erhalten sie mehr Auswahl beim Service. Und: Die Angebote und deren Inszenierung auf der Fläche werden ebenfalls noch besser werden. Auf jeden Fall werden wir erleben, dass der Handel in allen Belangen noch besser wird, als er jetzt schon ist.