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Vom «Hausfrauensport» zum Trend auf Instagram – Backen ist angesagt, was die Verkaufszahlen von Mehl steigen lässt. Am stärksten wachsen Spezialmehle, Urgetreide sowie Bio- und glutenfreie Produkte.
Das Image von Backen hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt», sagt Anne-Kristin Barth vom Verband der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft VGMS. «Backen ist jünger und männlicher geworden, das zeigen zahlreiche Food-Blogs, Social-Media-Kanäle oder Back- und Kochsendungen im TV.» Dahinter steckten gleich mehrere Verbraucherwünsche: Wer selbst backe, könne sich kreativ austoben (‹Selbstverwirklichung›), auf individuelle Geschmacksvorlieben und Bedürfnisse eingehen (‹Individualisierung›) und kenne die Zutaten (‹Clean Eating›).
Absatz fast verfünffacht
Verstärkt wurde die Entwicklung 2020 durch die Corona-Pandemie: «Während des ersten Lockdowns wurde vom Lebensmitteleinzelhandel teilweise die vier- bis fünffache Menge an Mehl abgerufen», sagt Barth. Dieser extreme Nachfrageboom habe sich grösstenteils wieder normalisiert, der Absatz im LEH liege aber weiterhin über dem der Vorjahre. «Wir rechnen mit einem um 15 bis 20 Prozent höheren Mehlabsatz für 2020», sagt etwa Uwe Walter, Geschäftsführer Aurora Mühlen.
Zuwachs bei Alternativen
Die quantitativ grösste Rolle im LEH spielt nach wie vor das «Allround»-Mehl der Type 405. Generell seien Kunden aber «offener für Alternativen zum klassischen Weizenmehl», wie Hannes Öhler von Bauckhof beobachtet hat. Den mit 24 bis 35 Prozent grössten Absatzzuwachs verzeichnen laut Aurora Mühlen aktuell anwendungsspezifische Mehle (etwa für Pizza) und die sogenannten Spezialmehle, also kräftigere Mehle mit höherer Typenzahl wie Weizen (Type 550), Dinkel (Type 630 und Type 1050) oder Roggen (Type 1150) – was darauf hinweise, dass zu Hause mehr und vor allem Brot gebacken werde.
Bio, glutenfrei und gelingsicher
«Verbraucher lieben mittlerweile die Vielfalt an Mehlen genauso wie die deutsche Brotvielfalt und probieren viel Neues aus», hat Dieter Haberbosch, Verkaufsleiter der Friessinger Mühle beobachtet. Dadurch steigt auch der Anspruch an die Produkte. «Viele Kunden achten auf qualitativ hochwertige Zutaten aus dem Bio-Bereich», sagt Hannes Öhler von Bauckhof. «Zudem werden glutenfreie Mehle, etwa Buchweizen-, Reis-, Kichererbsen- oder Hafermehl, verstärkt nachgefragt.» Und das weniger aufgrund von Unverträglichkeiten, als vielmehr der Lust am Ausprobieren, wie man bei Dr. Schär beobachtet hat: «Sowohl Kategorie-Shopper als auch Käufer, die unbewusst glutenfreie Produkte kaufen, haben 2020 mehr glutenfreies Mehl und Pasta gekauft», sagt Managing Director Matthias Müller-Thederan.
Mehr Platz für Spezialmehle
Als Treiber für weiteres Wachstum sehen die Hersteller zudem Mehle und Produkte aus Urgetreide wie Dinkel, Emmer oder Buchweizen. «Diese Getreidearten bedienen den Zeitgeist und den Wunsch nach ursprünglichen, gesunden Lebensmitteln», sagt Uwe Dettinger, Vertriebsleiter bei der SchapfenMühle. Um bei Spezialmehlen entsprechende Drehzahlen bei neuen Produkten zu erreichen, brauche es im LEH mehr Geduld: «Es dauert ein wenig, bis Verbraucher neue Produkte wahrnehmen und kaufen. »Ein Ansatz sei, im Regal weniger Weizenmehle Type 405 und dafür Spezialmehle wie Mehle aus Urgetreidearten zu platzieren. «Diese zusätzlichen Listungen bieten die von Verbrauchern gewünschte Sortimentstiefe im Regal – und damit einen Mehrwert für den Handel, der sich als gut sortierter Partner positionieren kann.»
Marktzahlen
Deutschland
Der Mehlabsatz im LEH hat sich in den vergangenen Jahren konstant entwickelt und lag laut Nielsen Marketscan bisher recht stabil bei 312 000 t pro Jahr. Aufgrund von Corona wird für 2020 ein Absatz von 380 000 t geschätzt. Weizenmehl Type 405 ist mit rund 790 000 t (insgesamt produzierte Menge) das beliebteste Mehl. Stark nachgefragt ist auch Dinkelmehl. So hat sich seine Herstellung seit 2015/16 mehr als verdoppelt (aktuell 205 000 t).
Österreich
Die österreichischen Mühlen haben laut Agrarmarkt Austria 2020 rund 72 500 t Getreide verarbeitet. Die Vermahlung an konventionellem Getreide ist im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Die Weichweizen- und Roggenvermahlung war rückläufig und konnte nicht durch den Anstieg der vermahlenen Mengen an Hartweizen und Dinkel kompensiert werden.
Schweiz
Laut Bundesamt für Landwirtschaft wurde von September 2019 bis August 2020 Mehl für 69,3 Millionen CHF im Schweizer Detailhandel verkauft (+37,3 % vs. VJ). Der Mehlabsatz betrug 36 696 t (+34,7 % vs. VJ). Im MAT August 20 wurden 2080 t Dinkelmehl abgesetzt (+50 % vs. VJ). Damit verbucht das Getreide aktuell einen Marktanteil von 6 %.