Verpackung: Weniger ist oft mehr

Dienstag, 01. Dezember 2020
Foto: Unternehmen

Neuer Verpackungsmüll-Rekord und strengere Richtlinien aus Brüssel: Viele Hersteller und Händler arbeiten mit Hochdruck an nachhaltigeren Verpackungskonzepten. Was derzeit dabei im Fokus steht.

Angesichts immer massiverer Forderungen nach mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit von Seiten des Gesetzgebers und der Umweltorganisationen geraten Hersteller und Verpackungsindustrie zunehmend unter Druck, nachhaltigere Verpackungskonzepte zu entwickeln. Nachfüllstationen für Wasch- und Reinigungsmittel, SB-Käse und Spirituosen in der Papier/Kartonverpackung, die kundeneigene Kunststoffbox für den Einkauf an der Fleisch- und Wursttheke, Papier- statt Kunststoffbeutel für das TK-Fertiggericht, mehr Glas-Mehrweg statt Einwegverpackungen aus PET: Kunden im Lebensmittelhandel bieten sich inzwischen immer mehr Alternativen, über den Kauf solcher Produkte einen Beitrag zur Vermeidung von Verpackungsmüll und zu mehr Nachhaltigkeit im Alltag zu leisten.

5-Punkte-Plan zur Reduktion von Verpackungen

«In der von der EU erlassenen Abfallrahmenrichtlinie sowie dem Kreislaufwirtschaftsgesetz steht die Vermeidung von Verpackung ganz oben in der Hierarchie der Massnahmen, gefolgt von der Vorbereitung zur Wiederverwendung, erst dann dem Recycling, der Verwertung und zum Schluss der Beseitigung», heisst es seitens der AGU Beratungsgesellschaft für Umwelt- und Qualitätsmanagement mbH. Derzeit laufen unterschiedliche Projekte im Handel, die dieser 5-Punkte-Hierarchie folgen, beispielsweise durch sogenannte Unverpacktstationen in Bereichen wie Körperpflege, WPR, Trockensortimente (siehe Info-Kasten) oder alternativen Konzepten an den Frischfleischtheken. Markant Partner tegut beispielsweise testet in einigen Märkten den Abverkauf über Kunststoffboxen/-dosen. Die Verbraucher bringen sie – wie früher bei Tante Emma – von zu Hause mit und lassen sie vom Personal befüllen. Voraussetzung hierfür ist ein durchdachtes HACCP-System und dessen konsequente Umsetzung. Es gebe anerkannte Leitlinien zur Guten Verfahrenspraxis, die auf die betrieblichen Voraussetzungen, die Aspekte der Risikoanalyse und die erforderlichen Massnahmen beim Umgang mit kundeneigenen Behältnissen eingehen, bestätigt die AGU. Bei tegut kommt das Thekenpersonal mit den Behältnissen der Kunden gar nicht direkt in Kontakt, denn der Kunde reicht seinen geöffneten Behälter per Tablett über die Frischetheke und erhält ihn befüllt auf diesem Wege zurück, verschliesst ihn selbst wieder und klebt auch das entsprechende Preisetikett selbst auf.

Kunststoff-Recycling forcieren

Die Recyclingfähigkeit von Verpackungen ist ebenfalls eine entscheidende Voraussetzung für einen nachhaltigen Wertstoffkreislauf und wird einen wesentlichen Einfluss auf die weitere Entwicklung im Verpackungssektor haben. Monomaterialien bieten hier aus Sicht des Wasch- und Reinigungsmittelspezialisten Werner & Mertz entscheidende Vorteile. Das Unternehmen setzt sie bereits ein – als Standbeutel für Frosch Flüssigwaschmittel komplett inklusive Kappe und Gewinde aus einem Material, das zu 100 Prozent recycelt werden und rund 70 Prozent Plastik im Vergleich zu einer Flasche mit gleichem Füllvolumen einsparen kann, so der Hersteller.

Nachwachsende Rohstoffe für Verpackungen

Das negative Image von Kunststoffen in der Öffentlichkeit und der Wunsch nach Vermeidung von Kunststoffeintrag in die Umwelt sorgt nicht nur seitens des UBA für einen verstärkten Druck auf die Hersteller, die hier noch unterentwickelte Recyclingquote zu erhöhen (2018: 47,1 %) und bis 2022 auf 63 Prozent zu bringen.Alternativ dazu können Papiersubstitute ein Teil der Lösung sein: Der Spirituosenkonzern Diageo hat beispielsweise für seine Scotch-Marke Johnnie Walker eine Papierflasche entwickeln lassen, die im kommenden Jahr an den Start geht.

Zusätzlich sorgen in letzter Zeit auch nachwachsende Rohstoffe wie Grasfasern zur Produktion von Kartonverpackungen für Aufmerksamkeit in der Branche. Laut FFI Fachverband Faltschachtel-Industrie handelt es sich dabei um Kartons auf Basis von Altpapier oder Frischfasern, denen aus Stabilitätsgründen in gewissem Umfang Grasfasern  beigemischt werden können. Ein Hersteller von Bio-Grillkäse setzt bereits darauf und gibt an, damit im Vergleich zum Holzfaserkarton 250 kg CO2 und 3000 Liter Wasser pro Tonne Grasfaserkarton einzusparen.

 

 

 

News

Foto: Stefanie Brückner

Vom 24. bis 25. April findet das 125. Markant Handelsforum statt. Zu erwarten sind neben zeitaktuellen Vorträgen und Innovationen für den POS auch ein praxisnaher Austausch.

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Tegut hat das Jahr 2023 mit einem Nettoumsatz von 1,28 Milliarden Euro abgeschlossen und damit das Ergebnis des Vorjahres um 2,44 Prozent übertroffen.

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Nach einem Einbruch zu Jahresbeginn stabilisiert sich die Konsumstimmung in Deutschland jetzt wieder.

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In Österreich können biologische Lebensmittel trotz allgemeiner Teuerungen auf treue Verbraucher zählen.

Infos

Heimkompostierbare Verpackung
Das Start-up-Portal voilà! der Markant (www.voila-startups.com/) bietet regelmässig Pitches vor Handelsunternehmen an und unterstützt so auch einige nachhaltige Start-ups wie zum Beispiel the nu company (www.the-nu-company.com/).  Eine Innovation von ihnen ist eine heimkompostierbare Müsliriegelverpackung. 

The nu company macht auf die katastrophalen Umweltfolgen von Einweg-Plastik aufmerksam, in die vergleichbare Produkte immer noch verpackt werden. Jedes Jahr gelangen laut dem Plastikatlas der Heinrich Böll Stiftung acht Millionen Tonnen Plastik in die Weltmeere. Dabei kritisiert das Startup die viel zu niedrige Recyclingquote von 15,6 Prozent in Deutschland. Die Lösung dafür ist seine garten- und heimkompostierbare Verpackung auf Zellulose-Basis, die sich in wenigen Wochen auf dem hauseigenen Kompost zersetzt: «biologisch abbaubare Verpackungen sind längst keine Utopie mehr. Und während andere noch Ausreden suchen, gehen wir schon mal mutig voran», so Mitgründer Thomas Stoffels.

 

Interview

Vermeidung geht vor Recycling

 

 

 

 

Julia Harth, Leiterin Nachhaltigkeit, und Martina Stock, staatl. geprüfte Lebensmittelchemikerin, AGU Beratungsgesellschaft für Umwelt- und Qualitätsmanagement mbH, zu den aktuellen Verpackungsrichtlinien des Gesetzgebers und «neuen» Konzepten gegen Verpackungsmüll.

Welche Anforderungen an Handel und Industrie gibt es seitens der EU für die Umsetzung von nachhaltigeren Verpackungskonzepten?
Im Rahmen des Green Deals setzt sich die EU sehr hohe Ziele. So lautet das Klimaziel, dass 55 Prozent weniger Emissionen bis 2030 ausgestossen werden und sogar Klimaneutralität bis 2050 erreicht werden soll. Dies gilt für alle Bereiche, auch die in punkto Umweltverschmutzung bisher kaum geregelten Verpackungen.

Insbesondere die Single-Use-Plastics-Directive (SUP-D) gibt im Bereich der Verpackungen für den Handel und die Industrie diverse Massnahmen für Lebensmittelverpackungen aus EPS (Styropor), Lebensmittelbehälter, Getränkeflaschen und -becher, einschliesslich Deckeln und Verschlüssen sowie Tüten und Folienverpackungen vor. Diese reichen von Verbrauchsminderungszielen über Produktanforderungen bis hin zu Verboten.

In Deutschland gilt § 21 Verpackungsgesetz, der die Dualen Systeme verpflichtet, die Lizenzentgelte ökologisch zu gestalten. Die Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister erstellt hierfür als Grundlage einen Mindeststandard für die Bemessung der Recyclingfähigkeit von Verpackungen. Zudem steigen die Recyclingquoten im Verpackungsgesetz ab 2022 wieder. Industrie und Handel werden verpflichtet, vermehrt Rezyklate zu nutzen und recyclingfähige Verpackungen in Umlauf zu bringen.

Priorität hat aber die Vermeidung unnötiger Verpackungen und die Umstellung auf Papierverpackungen vor weiteren Optionen. Das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission gibt für 2021 vor, dass die grundlegenden Anforderungen an Verpackungen und weitere Massnahmen gegen übermässig aufwendige Verpackungen und zur Verringerung von Verpackungsabfällen in der EU erarbeitet werden sollen.

Sind Unverpackt-Stationen bzw. Nachfüllstationen etc. sinnvolle Konzepte zu einer nachhaltigeren Verpackungswirtschaft?
Die Abfallhierarchie aus der Abfallrahmenrichtlinie (EU) sowie dem Kreislaufwirtschaftsgesetz (Deutschland) besagt eindeutig, dass zunächst die Vermeidung, dann die Vorbereitung zur Wiederverwendung, erst dann das Recycling, die Verwertung und zum Schluss die Beseitigung durchgeführt werden soll.

Unverpackt-Stationen sind abfalltechnisch kritisch anzusehen. Endverbraucher, die davon ausgehen, dass dadurch gar kein Abfall generiert wird, liegen hier falsch, denn auch diese Artikel werden verpackt angeliefert. Was nicht in den offiziellen Abfallzahlen und -statistiken zu finden ist, sind nämlich die Transportverpackungen, die bei den gewerblichen Kunden als Abfall anfallen. Trotzdem sind Unverpackt-Stationen eine gute Alternative, weil keine zusätzlichen Verkaufsverpackungen anfallen. Dies entspricht der zweiten Stufe der Abfallhierarchie und ist ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft. Gleiches gilt für Nachfüllstationen im WPR-Bereich. Hier kann sogar vereinfacht die Transportverpackung wiederverwendbar gestaltet werden. Inwiefern allerdings ein erhöhter CO2-Ausstoss durch das vermehrte Verwenden von Mehrweg-Behältern und die Nutzung von Autos in Relation mit dem damit eingesparten Verpackungsmüll steht, wird sich erst in Zukunft zeigen.

Wie ist es um das Thema Hygiene beim losen Verkauf von Frischware wie etwa Fleisch an der Theke bestellt?  Kann dieser tatsächlich im Einklang mit HACCP problemlos erfolgen?
Verpackungen schützen die Lebensmittel und verlängern deren Haltbarkeit. Ohne Verpackung sind Lebensmittel unterschiedlichen Gefahren ausgesetzt, durch Fremdkörper oder etwa durch gesundheitsschädliche Stoffe, die auf das Lebensmittel übergehen können, durch Bakterien und Viren oder durch Allergene. Doch diese Gefahren sind beim Verkauf unverpackter Ware beherrschbar. Lebensmittel können in kundeneigene Behältnisse gefüllt werden, entweder durch das Personal im Thekenbereich oder durch den Kunden selbst an den Unverpackt-Stationen. Voraussetzung hierfür ist ein durchdachtes HACCP-System und dessen konsequente Umsetzung.

Es gibt anerkannte Leitlinien zur Guten Verfahrenspraxis, die auf die betrieblichen Voraussetzungen, die Aspekte der Risikoanalyse und die erforderlichen Massnahmen beim Umgang mit kundeneigenen Behältnissen eingehen. So sollte der Kontakt mit den betrieblichen Einrichtungen minimiert werden, indem die kundeneigenen Behältnisse beispielsweise auf ein Tablett abgestellt oder bei Selbstbedienungseinrichtungen möglichst in eine vorgegebene Halterung eingesetzt werden. Unerlässlich ist auch die adäquate Kundeninformation mit Hinweisen wie «Verwenden Sie nur sauberes Geschirr!» oder aussagekräftigen Piktogrammen. Oft sind zusätzliche Reinigungsmassnahmen erforderlich, da bei der Abfüllung oder Entnahme durch den Kunden «etwas daneben gehen» kann. Werden diese Produktreste nicht regelmässig und gründlich entfernt, kann sich schnell ein Problem mit Hygieneschädlingen entwickeln. Wasch- und Reinigungsmittel oder Kosmetika sind bei Abgabe in kundeneigenen Behältnissen meist etwas weniger schwierig. Aber auch für diese Produkte gilt, dass eine Kontamination möglichst vermieden werden muss.