Digitale Endlos-Ketten

Montag, 02. Juli 2018
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Die Blockchain-Technologie steht noch am Anfang, könnte jedoch schon bald unternehmerische Prozesse optimieren und neue Geschäftsmodelle kreieren. Ein Überblick über Stand und Potenzial der Technik.

In den USA wollen Unternehmen wie Walmart, Nestlé, Unilever und andere in einem gemeinsamen Projekt herausfinden, wie per Blockchain-Technologie die Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln effektiver organisiert und schneller umgesetzt werden kann. In Deutschland haben sich, unter der Leitung der GS1 Germany, Unternehmen wie dm-Drogeriemarkt, Beiersdorf und Lekkerland zusammengefunden, um den Nutzen von Blockchain im Paletten-Tauschprozess zu testen. Auch die MARKANT ist in diesem Arbeitskreis vertreten (mehr dazu in Teil 2 der Serie). 

Dezentrale Datenbanken

„Der Bedarf des Marktes an Erkenntnissen zum Thema Blockchain ist groß“, sagt Regina Haas-Hamannt, Projektleiterin bei GS1 Germany. Ebenso groß allerdings ist die Ungewissheit, ob und wie schnell die Technologie speziell im Handel und in der Konsumgüter-Industrie in konkrete Anwendungen überführt werden kann. „Wir prognostizieren, dass sich die Blockchain recht schnell etabliert“, erklärt Wolfgang Prinz, stellvertretender Leiter des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik FIT (siehe Interview). Sein Institut arbeitet ebenfalls am GS1-Projekt mit. Andere Beteiligte äußern sich vorsichtiger. „Ob Rückverfolgung oder Palettentausch: Eine auf der Blockchain-Technologie basierende Anwendung gilt es zunächst einmal zu entwickeln, und dabei stellen sich sehr viele technische, organisatorische und auch rechtliche Fragen“, bremst Regina Haas-Hamannt von GS1 Germany.

Was aber genau ist, wie funktioniert Blockchain? Block ist der Datensatz, Chain ist die Kette, Blockchain somit eine Datenkette und damit letztlich eine Datenbank. Im Gegensatz zu den bisher üblichen zentralen Speicherstrukturen ist die Blockchain jedoch dezentral angelegt. Denn die Datenblöcke werden in einem weltweiten Netzwerk von Rechnern parallel und in Form zahlloser Kopien gehalten – der erste wesentliche Vorteil der Blockchain. Denn bei technischen Ausfällen bleiben immer noch Kopien erhalten. Zentrale Systeme dagegen können Datenverluste durch technische Ausfälle nicht 100prozentig ausschließen. 

Sicher gegen Eingriffe

Zweites relevantes Attribut der Blockchain ist deren Manipulationssicherheit. Ein Lieferauftrag zum Beispiel könnte von einem Handelsunternehmen erzeugt und digital signiert, an das Netzwerk gesendet und an die beteiligten Knoten verteilt werden. Die Knoten des Netzwerks überprüfen dann die Gültigkeit der Bestellung und fügen diese als Block in die Kette ein. Dabei spielt die Reihenfolge der Blöcke eine große Rolle, denn jeder Block enthält eine Art Prüfsumme, sogenannte Hashwerte, vom vorherigen Block. Um einen neuen Block aufnehmen zu können, muss dieser entsprechend verifiziert werden. Diese Art der Kodierung sichert die Blockchain gegen Manipulationen ab. Außerdem bietet das Netzwerk keinen einzelnen Punkt, an dem es angegriffen werden könnte. Es gibt kein einzelnes Administratorenpasswort, mit dem alle Einträge verändert werden können.

Und der dritte Vorteil: In der Blockchain können alle Teilnehmer jederzeit auf alle gespeicherten Informationen zugreifen. Die Blockchain gehört, je nach Sichtweise, niemandem bzw. allen Teilnehmern. Zentrale Datenbank-Systeme dagegen befinden sich im Besitz eines einzigen Eigentümers, der den Zugriff auf die Daten regeln kann. Beispiel: Alle unbaren Geldüberweisungen zwischen A und B laufen heute über die Anwendungen der Finanzwirtschaft. Die Banken fungieren als zwischengeschaltete Validierungs-, Kontroll-, Abwicklungs- und Speicherinstanz für alle Transaktionen. 

Bitcoin ohne Banken

Für fast alle Transaktionen: Denn als erste und bislang einzige umfassende Blockchain-Anwendung hat Satoshi Nakamoto (ein Pseudonym, der wahre Urheber soll ein australischer Computerexperte sein) im Jahr 2008 die Kryptowährung Bitcoin entwickelt. Die Blockchain fungiert dabei quasi als digitales Kassenbuch, in dem alle Bitcoin-Transaktionen verwaltet und fälschungssicher dokumentiert werden. Eine Bank als Zwischeninstanz, die sich ihre Dienste bezahlen lässt, wird dadurch obsolet. 

Nicht von ungefähr befürchtet die Bankenbranche, dass diese und andere mögliche Blockchain-Anwendungen langfristig ihr Geschäftsmodell zur Disposition stellen könnten. Dagegen müssen Handel und Konsumgüter-Industrie derart tiefgreifende Eingriffe in ihr Business nicht befürchten. Wohl aber könnte die Blockchain den Anwendungspionieren dieser Branchen dazu verhelfen, Prozesse zu optimieren, Kosten zu sparen und damit Wettbewerbsvorteile zu generieren. Mehr dazu in der nächsten Ausgabe. 

News

Foto: Stefanie Brückner

Vom 24. bis 25. April findet das 125. Markant Handelsforum statt. Zu erwarten sind neben zeitaktuellen Vorträgen und Innovationen für den POS auch ein praxisnaher Austausch.

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Tegut hat das Jahr 2023 mit einem Nettoumsatz von 1,28 Milliarden Euro abgeschlossen und damit das Ergebnis des Vorjahres um 2,44 Prozent übertroffen.

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Nach einem Einbruch zu Jahresbeginn stabilisiert sich die Konsumstimmung in Deutschland jetzt wieder.

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In Österreich können biologische Lebensmittel trotz allgemeiner Teuerungen auf treue Verbraucher zählen.

Serie

Dreiteilige Serie im MARKANT Magazin: Wie funktioniert die Blockchain-Technologie, wie kann sie Prozesse schneller und effektiver machen?

07/18 Was unter Blockchain zu verstehen ist
08/18 Welche Anwendungen die Blockchain ermöglicht
09/18 Wie konkrete Blockchain-Projekte aussehen

 

Interview

Wolfgang Prinz, stellvertretender Leiter des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik FIT und Professor an der RWTH in Aachen, befasst sich im Auftrag von Firmen mit Konzeptebn und Anwendungen für die Blockchain.

Wie schnell rechnen Sie mit konkreten Blockchain-Anwendungen?
Wir prognostizieren, dass sich die Blockchain recht schnell etabliert. Vermutlich schon in ein bis zwei Jahren dürfte sie vielfältig Anwendung finden. Wir vergleichen dies mit der Entwicklung des Word Wide Web. Erst waren es nur wenige Seiten, bis innerhalb von kurzer Zeit die Technik explodiert ist.

Wie sollten Unternehmen jetzt mit dem Thema umgehen?
Wer sich frühzeitig vorbereitet, kann sie sich möglicherweise Vorteile im Wettbewerb verschaffen. Wir raten dazu, sich mit der Technik zu beschäftigen. Unternehmer sollten an Workshops teilnehmen, in denen die Blockchain und ihre Leistungsfähigkeit erklärt werden. Verbände organisieren Vorträge. Es ist wichtig, hier am Ball zu bleiben.

Und wann wird die Blockchain für das tägliche Geschäft interessant?
Der Firmenchef sollte sich zuerst fragen, in welchen Netzwerken er aktiv ist – in welchen Bereichen die Firma also Teil einer Blockchain werden könnte. Der Warenhandel ist hier nur ein Beispiel. Die Blockchain ist darüber hinaus interessant, wenn innerhalb eines Netzwerkes Dokumente ausgetauscht werden. Und drittens für automatisierte Zahlungen. Bisher sind in vielen derartigen Prozessen Vermittler eingeschaltet, die mit der Einführung der Blockchain überflüssig würden.