Interview mit Dr. Sabine Eichner, Geschäftsführung des Deutschen Tiefkühlinstituts (dti) über das «Smart-Food»-Konzept
Das dti hat mit der Hochschule für Medien in Stuttgart das «Smart-Food»-Konzept entwickelt. Welches Ziel verfolgen Sie damit und welche Ideen kennzeichnen das Konzept?
Eichner: Um die Erfolgsstory der Tiefkühlwirtschaft auch zukünftig fortschreiben zu können, braucht es immer wieder neue Impulse und Anpassungen an technologische Entwicklungen und Verbraucherbedürfnisse. Neue Produkte sind das eine, die attraktive Präsentation am Point of Sale das andere. Gerade in Zeiten geänderter Ansprüche der Konsumenten an das Shopping-Erlebnis und den Wettbewerb mit dem Online-Handel, muss die Branche über neue Konzepte nachdenken. Und zwar gemeinsam mit dem Handel.
Das dti sieht sich als Plattform für den Austausch und als Initiator von Zukunftskonzepten, die als Pilotprojekte getestet werden können und die neue Impulse für eine inspirierende, attraktive Verkaufsumgebung auslösen. Die immer schneller fortschreitende Digitalisierung bietet dabei neue Chancen, die Kommunikation am Point of Sale zu gestalten sowie online und stationäres Geschäft zu verknüpfen. Um neue Ideen zu entwickeln, sollte man über den Tellerrand schauen oder sich mit Menschen austauschen, die einen frischen, unverstellten Blick auf die TK-Abteilung haben. Das ist vor allem die junge Generation, die selbst die Digitalisierung weiter vorantreiben wird.
Vor diesem Hintergrund hat das dti gemeinsam mit seinen Mitgliedern aus der Brancheninitiative «Attraktivität der TK-Abteilung» einen Wettbewerb mit Studenten der Design-Kommunikation an der Hochschule der Medien Stuttgart gestartet, die sich über mehrere Monate mit der «TK-Abteilung der Zukunft» auseinander gesetzt haben. Dabei sind drei spannende, inspirierende und ganzheitliche Konzepte entstanden, die zum Teil einen visionären Blick in die Zukunft des Einkaufens von Tiefkühlprodukten werfen. Das Gewinnerprojekt «Smart Food» lieferte gleich auch einen neuen Kategorie Begriff für die etwas in die Jahre gekommene Bezeichnung «Tiefkühlkost». Dabei setzte das Studenten-Team auf den vollständigen Verzicht von TK-Truhen und ersetzte diese durch digitale Displays mit «Smart Contact», die TK-Produkte in den jeweiligen Sortimenten anbieten. Das funktioniert mit der NFC-Technologie, die mit dem Smartphone kommuniziert und so den digitalen Einkauf ermöglicht. Ergänzt durch einen «Smart Chef» bekommen die Verbraucher Produktideen und Rezeptvorschläge, die in einer stylischen Sitzecke gesichtet werden können. Der Einkauf wird durch kontaktloses Bezahlen abgeschlossen und die TK-Ware erhält der Kunde aus dem «Frischespeicher», in dem der individuelle Einkauf für den Heimweg in einer Mehrweg-TK-Einkaufstasche bereitsteht.
Welche Voraussetzungen müssen für die Umsetzung dieses Konzeptes gegeben sein?
Dr. Sabine Eichner: «Smart Food» ist ein komplett digitaler Ansatz, der auf physische TK-Abteilungen verzichtet, die vollständige Umsetzung scheint daher aus heutiger Sicht nicht realistisch. Wir sehen das Konzept eher als «Design-Studie», um das herkömmliche Denken und die vorherrschenden Sichtweisen zu durchbrechen. Die technische Umsetzung erfordert eine Reihe von Voraussetzungen, das fängt beim Smartphone des Verbrauchers an und endet bei Investitionen in die Displaytechnologie und den Frischespeicher. Wir glauben eher daran, dass es möglich ist, Elemente aus dem «Smart-Food»-Konzept zu testen. Smart Contact könnte man zum Beispiel im Zusammenhang mit Verbund- und Komplementärkäufen testen oder den «Smart Chef» mit spannenden Inhalten über TK und Rezeptideen durch das dti und Industriepartner füllen. Die wichtigste Voraussetzung ist aber natürlich ein engagierter Händler der sich traut, mit uns zusammen neue Wege zu gehen.
Sie plädieren für mehr Emotionalität und Einkaufserlebnis in der TK-Abteilung. Wie passt das mit dem «Smart-Food»-Konzept zusammen?
Dr. Sabine Eichner: So revolutionär und provokativ diese Idee auch sein mag – sie legt den Finger in die Wunde. Heutige TK-Abteilungen sind oft kalt und bieten wenig Mehrwert. Wir brauchen also emotionalere, wärmere Konzepte, die den Kunden die Vorteile von TK-Produkten erfahrbar machen. Neue TK-Möbel, Lichtinszenierung, ansprechende Bildwelten – dies alles sind Möglichkeiten, die angereichert durch digitale Umsetzungselemente in Zukunft die TK-Abteilungen verändern werden. Gerade die jüngere Generation, die gewohnt ist, mit dem Smartphone im Grunde alle Lebensbereiche zu gestalten und zu organisieren, wird erwarten, dass die Vorteile beim Einkauf eingesetzt werden. Das bietet neue visuelle Inszenierungsmöglichkeiten und auch neue Wege im Marketing.
«Smart Food» bietet viele Chancen, die aber erstmal erprobt werden müssen, um zu lernen. Die Studenten haben uns nach intensiver Auseinandersetzung gesagt, dass sie zunächst auch nicht viel mit TK anfangen konnten – aber dass sie die vielfältigen Vorteile und den Nutzen jetzt erkannt haben. Daraus wurde der Begriff «Smart Food» geprägt, clever einkaufen mit hohem Nutzen für die Konsumenten. Darum geht‘s, wir müssen die sogenannten «pain points» abbauen und höheren Nutzen erfahrbar machen.
Wie reagiert der LEH auf das «Smart Food»-Konzept? Gibt es Märkte, die damit bereits liebäugeln?
Dr. Sabine Eichner: Wir haben über das Konzept mit einigen Händlern gesprochen. Das Interesse ist durchaus vorhanden. Viele selbstständige Kaufleute gehen ja gerade neue, mitunter sehr futuristische und mutige Wege. Wir arbeiten daran, die richtigen Partner aus dem Technologiesektor und dem Handel zusammenzubringen, die sich mit uns an die Umsetzung von «Smart Food»-Elementen wagen. So ein Projekt ist natürlich verbunden mit einer großen Portion Experimentier- und Innovationsgeist – aber solche Innovatoren sollten in der dynamischen Handelswelt zu finden sein.
Wie reagieren die Hersteller auf das Konzept, wenn ihre Produkte nicht vollständig sichtbar und «greifbar» sind?
Dr. Sabine Eichner: Dieser Aspekt von «Smart Food» ist einer der schwierigsten für die Industrieseite. Heute ist es schwer vorstellbar, dass Tiefkühlprodukte überhaupt nicht mehr physisch im Handel angeboten werden. Andererseits – aus Sicht des Studenten-Teams erfüllt die TK-Abteilung in der heutigen Ausprägung eigentlich nur die eines «Lagerraumes». Und das ist definitiv zu wenig, um Kunden zu begeistern. Und wir alle wissen, dass Online-Einkauf für viele Menschen heute bereits Alltag ist. Wenn sich das in den nächsten Jahren auch bei Lebensmitteln stärker in die Richtung entwickeln sollte, dann werden wir mit anderem Blick auf «Smart Food» schauen.
Was sagen die Konsumenten zu diesem Konzept?
Dr. Sabine Eichner: Soweit sind wir noch nicht, dass wir schon jetzt wissen, was der Verbraucher letztendlich von einem so innovativen Konzept hält. Zunächst müsste es einen Testlauf geben in dessen Zuge man auch Konsumenten befragen könnte – sonst ist die Vorstellung des «Smart Food»-Konzepts schon sehr abstrakt. Die Menschen werden neue Ideen annehmen, wenn sie ihnen Vorteile bieten, das heisst, wenn der Einkauf für sie erleichtert wird oder ihnen Mehrwerte bietet. Dieser Nutzen darf nicht nur rational definiert werden, gerade heute sind Emotionalität und Erlebnis wichtige Argumente. Wir sind ziemlich sicher, dass wir in wenigen Jahren Beispiele im Handel sehen werden, die in diese Richtung gehen.
Welche digitalen Möglichkeiten gibt es, die «klassischen» TK-Abteilungen attraktiver zu gestalten?
Dr. Sabine Eichner: Derzeit liegen die Möglichkeiten primär in der Auswahl bestimmter Tiefkühlgeräte mit digital bespielbaren Türen oder (Schiebe-) Deckeln, die aber eine recht hohe Investition für den Händler bedeuten. Für bestehende TK-Abteilungen, die bereits mit moderner, energieeffizienter TK-Technik ausgestattet sind, kommt eine erneute Investition erst beim nächsten Investitionszyklus infrage. Wir beobachten auch, dass die TK-Möbelhersteller innovativer werden und neue Elemente testen. Darüber hinaus gilt für viele heutige TK-Abteilungen erst einmal dem Kunden die Orientierung im Sortiment zu erleichtern: mit optimierten Sortimenten und Warengruppenschildern. Die Verwendung von ansprechenden Food-Fotos und anderen Design-Elementen, der gezielte Einsatz von Licht, die Ummantelung von Truhen mit «wärmeren» Materialien, die Fussbodengestaltung – das alles sind Möglichkeiten die Abteilung atmosphärisch aufzuwerten, die schnell und mit vertretbarem Aufwand umzusetzen sind.
Welche Rolle spielen Kochideen in der TK-Abteilung beziehungsweise in der Truhe? Wie unterstützt das dti die Händler dabei, die Kunden für solche Kochideen zu begeistern?
Dr. Sabine Eichner: Die Idee klingt natürlich gut und macht auch Sinn. Es gibt in vielen Märkten bereits Info-Säulen, wo man sich über die Produkte informieren und auch gezielt Rezepte suchen bzw. sich inspirieren lassen kann, auch mal ein neues Rezept auszuprobieren. Man kann sich die Rezepte auch sofort ausdrucken. Es gibt aber auch bereits «nicht-digitale» Lösungen, bei denen alle Komponenten eines Rezepts zusammen im Markt angeboten werden – ähnlich wie es beispielsweise Konzeptläden wie «Kochhaus» anbieten: Alle Zutaten für ein Rezept sind auf eine «Wareninsel» zusammengestellt. Das geht auch in der TK-Abteilung. Und dann sollte man auch die Verbindung zu anderen Sortimenten nicht vergessen. Die Kombination von TK mit anderen Artikeln könnte noch stärker gespielt werden, genauso wie anlassbezogene Angebote. Hier wäre ein Einblick in die Nutzerdaten sicherlich sehr interessant, wie solche Angebote letztendlich vom Kunden angenommen werden.
Welche Synergien können sich mit Kochideen für andere Kategorien ergeben?
Dr. Sabine Eichner: Genau darum geht es ja. Die Zutaten für ein Rezept dem Verbraucher an einer Stelle im Markt schon gebündelt anbieten – da steckt viel Potenzial drin. Dadurch kann man den Marktbesucher an unterschiedliche Produkte heranführen, ihn für neue Rezepte begeistern und ihm klar machen: TK ist häufig eine Komponente im Zusammenspiel mit Zutaten anderer Angebotsformen. Ganz einfach gedacht: Die frischen Kartoffeln (aus der Obst- und Gemüseabteilung) oder das fertige Kartoffelpüree (Trockenprodukt) können etwa mit Fischstäbchen und Spinat aus der Tiefkühltruhe zu einem einfachen Gericht zusammengefügt werden. So kann man Produkte aus unterschiedlichen Angebotsformen – wie frisch, trocken, tiefgekühlt - dem Verbraucher näher bringen. Es gilt Ideen zu liefern, zu inspirieren und neue Ernährungslösungen anzubieten. In Kochideen am Point of Sale steckt also so viel mehr – wenn man es richtig macht!