Masse statt Klasse

Montag, 02. Juli 2018
Fotolia (Jacob Lund)

Die Absatzzahlen bei Bier stagnieren, jedoch probieren die Verbraucher gerne Neues aus und sind bereit, mehr zu bezahlen. Darauf reagieren Brauereien mit einem Innovationswettlauf.

Im Jahr 2017 liessen die Deutschen 77,2 Millionen Hektoliter Bier und Biermischgetränke durch die Kehlen rinnen, 2,3 Prozent weniger als 2016. 2017 trank jeder Deutsche rein rechnerisch 101 Liter Bier. 2016 waren es noch 104 Liter und vor zehn Jahren, 1997, sogar mehr als 131 Liter. Wie das Statistische Bundesamt weiter mitteilt, setzte sich diese Entwicklung auch im ersten Quartal 2018 mit einem Rückgang um 1,6 Prozent fort. Auf den ersten Blick paradox: Trotz der anhaltenden Marktschwäche wächst die Zahl der Brauereien. Laut Statistischem Bundesamt waren Ende 2017 mit 1492 Braustätten rund 150 Betriebe mehr registriert als noch vier Jahre zuvor. Aktuell dürften es schon mehr als 1500 Betriebe sein, schätzt der Deutsche Brauer-Bund. Deutschland erlebe «eine Renaissance des Biers und des Brauens». Das Spektrum der Trends im Biermarkt ist vielfältig und reicht vom Craftbier aus kleinen handwerklich geführten «Biermanufakturen» über regionale Spezialitäten bis hin zur Wiederbelebung alte Rezepturen wie Zwickl oder Helles.

Höhere Preise mit Spezialitäten 

«Auch 2017 hat sich der Trend zu den Spezialbieren, den wir schon seit einiger Zeit beobachten, deutlich fortgesetzt», sagt Horst Zocher von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Mit einem Absatz- und Umsatzplus von über 20 Prozent konnten Keller-, Zwickl- oder Landbiere weiter an Bedeutung gewinnen. Mit diesen Spezialitäten gelingt es den Brauern und auch dem Handel, sich dem Aktions- und Preisdruck der nationalen Pilsmarken zu entziehen. Im Sortenspektrum der deutschen Brauereienlandschaft zählte das Helle im Jahr 2017 zu den Gewinnern um die Gunst der Bierfreunde. Satte 5,2 Prozent konnten die Hellen im letztjährigen Jahresverlauf hinzugewinnen. Wie werthaltig sich die Sorte entwickelte, zeigt die Umsatzentwicklung, die mit plus 8,7 Prozent deutlich über dem Absatzplus lag. «Trotz deutlich höherer Kistenpreise bei den Spezialitäten nimmt die Kaufbereitschaft der Verbraucher weiter zu», kommentiert GfK-Experte Horst Zocher diese Entwicklung bei den Spazialitäten und macht noch auf einen Nebeneffekt aufmerksam: «Diese Nachfrageverschiebung wirkt sich auch sehr positiv auf die Umsatzentwicklung im gesamten Biermarkt aus, obwohl die Preise der nationalen Pilsmarken 2017 neue Tiefstände erreicht haben.»

Kleine Braustätten entwickeln sich dynamisch

Für Kaufimpulse sorgen auch die alkoholfreien Varianten, weil sie für immer mehr Verbraucher eine echte Alternative zu den bisher konsumierten alkoholfreien Getränken sind. Dies gilt neben den klassischen alkoholfreien Sorten insbesondere auch für die Biermisch-Varianten, die nach GfK-Zahlen neben einem weiteren Anstieg in der Käuferreichweite auch ein deutliches Mengenplus verzeichnen.

Die beliebteste Biersorte der Deutschen bleibt nach wie vor das Pils mit einem Marktanteil von über 50 Prozent vor Weizen und Export mit jeweils rund sieben Prozent. Dahinter folgt das vor allem im Süden Deutschlands verbreitete Helle, dessen Absatz zuletzt deutlich zulegte. Zugleich sind Craftbiere, bei denen beispielsweise neue Hopfensorten zum Einsatz kommen, auf dem Vormarsch. Diese kleinen Braustätten entwickeln sich laut Brauer-Bund auch besonders dynamisch. 2017 stellten sie mit 824 Brauereien bereits mehr als die Hälfte aller Brauereien in Deutschland.  Wenngleich der Marktanteil der Craftbiere bisher nur bei ein bis zwei Prozent liegt, dokumentiert der Boom dieser Biere das wachsende Interesse der Verbraucher an Brauhandwerk und Biervielfalt.

 

Info

10 Fakten zum Bier

In Deutschland hat sich über Jahrhunderte eine weltweit beachtete Braukunst entwickelt: Aus nur vier natürlichen Zutaten – Hopfen, Malz, Hefe und Wasser – entsteht in 1500 deutschen Brauereien eine weltweit einzigartige Vielfalt von über 40 verschiedenen Sorten und mehr als 6000 einzelnen Biermarken. Der Deutsche Brauerbund hat zehn interessante aktuelle Fakten zum Bier zusammengestellt.

1. Die Zahl der Brauereien wächst

Im Frühjahr 2018 hat die Zahl der deutschen Brauereien nach Einschätzung des Deutschen Brauer-Bundes (DBB) die Marke von 1500 überschritten. Laut Statistischem Bundesamt waren Ende 2017 mit 1492 Braustätten über 150 Betriebe mehr registriert als noch vor fünf Jahren. Die Zahl der Brauereien wird nach Einschätzung des DBB in den kommenden Jahren weiter wachsen.

2. Im Süden gibt es die meisten Brauereien

Bayern liegt im Bundesländer-Vergleich mit 642 Braustätten (2017) deutlich an der Spitze. Dahinter folgen Baden-Württemberg mit 204 Braustätten und Nordrhein-Westfalen mit 140 Betrieben, so das Statistische Bundesamt. Niedersachen und Hessen mit 82 bzw. 80 Brauereien liegen auf Platz 4 und 5.

3. Mittlerweile über 6000 Biermarken

Allein in Deutschland gibt es mittlerweile mehr als 6000 verschiedene Biermarken. Jede Woche kommt mindestens ein neues Bier auf den Markt. Nirgendwo ist der Biermarkt so abwechslungsreich und vielfältig wie in Deutschland, in keinem anderen Land haben die Verbraucher eine grössere Auswahl. Deutsche Biertrinker könnten rein rechnerisch mehr als 16 Jahre lang jeden Tag ein anderes Bier probieren – und müssten dabei keines zweimal kosten.

4. Deutschland bleibt Europameister im Brauen

Die deutschen Brauer sind mit fast 9,5 Milliarden Litern Bierabsatz «Europameister» im Brauen, vor Russland (7,8) und Grossbritannien (4,4). Dennoch gehen in Deutschland wie in den meisten Ländern Europas sowohl die Produktion als auch der durchschnittliche Konsum pro Jahr tendenziell langsam zurück. Hauptgründe sind vor allem die demografische Entwicklung und sich verändernde Konsumgewohnheiten. Der Pro-Kopf-Konsum von Bier in Deutschland lag im Jahr 2017 bei 101 Litern (2016: 104).

Am liebsten trinken die Deutschen ihr Bier übrigens zu Hause: In einer repräsentativen INSA-Umfrage für die deutschen Brauer sagen 59 Prozent, zu Hause schmecke das Bier besonders gut. Weitere Lieblingsplätze für den Biergenuss sind Biergärten (57%), Restaurant und Kneipe (49%) sowie Veranstaltungen wie Konzerte oder Fussball (26%).

5. Pils bleibt die beliebteste Biersorte

Die beliebteste Biersorte der Deutschen ist mit einem Marktanteil von über 50 Prozent das Pils. Dahinter folgen die Sorten Weizen und Export mit jeweils rund sieben Prozent. Deutlichen Zuwachs verzeichnet in jüngster Zeit das Helle, dessen Absatz nach Branchenschätzungen allein im letzten Jahr um fünf Prozent anstieg. Mit einem Marktanteil von gut sechs Prozent schliesst die vor allem im Süden Deutschlands beheimatete Sorte bei den beliebtesten deutschen Biermarken auf Platz 4 auf.

6. Geschmack von Männern und Frauen ist unterschiedlich

Während besonders viele Männer Pils bevorzugen, haben das Helle sowie alkoholfreie Biere mehr weibliche Fans, fand INSA in seiner aktuellen Umfrage heraus. Pils nannten 46 Prozent der Männer und 36 Prozent der Frauen als beliebteste Sorte. Das Helle bevorzugten elf Prozent der Männer und 15 Prozent der Frauen. Noch grösser ist der Unterschied beim alkoholfreien Bier: Diese Sorte gaben neun Prozent der Männer, aber 14 Prozent der Frauen als beliebteste an.

7. Alkoholfreie Biere weiter auf Wachstumskurs

Seit 2008 hat sich der Absatz alkoholfreier Biere in Deutschland verdoppelt. 2017 waren es bereits über 6,2 Millionen Hektoliter alkoholfreies Bier und Malztrunk. Der Marktanteil alkoholfreier Biere liegt derzeit bei über sechs Prozent. Mittlerweile werden mehr als 400 alkoholfreie Varianten angeboten, vor allem Pils, Weizen, Radler, aber auch regionale Spezialitäten wie Kölsch oder Alt sowie Craftbiere wie India Pale Ales.

8. Craftbier erobert den deutschen Markt

Craftbiere sind zumeist sehr aromaintensive Biere, bei denen grössere Hopfenmengen und neue Aromahopfen-Sorten zum Einsatz kommen. Diese gerade von Regionalität und Experimentierfreude geprägten Biere werden meist nur in kleineren Mengen hergestellt und lokal verkauft. Wenngleich der Marktanteil der Craftbiere bisher nur bei ein bis zwei Prozent liegt, dokumentiert der Boom dieser Biere das wachsende Interesse der Verbraucher an Brauhandwerk und Biervielfalt.

9.  Regionale Spezialitäten und alte Rezepturen im Trend

Marktforschungen zeigen, dass regionale Spezialitäten wie Landbiere, Kellerbiere oder Zwickl, die zum Teil auf alten oder neu interpretierten Rezepturen beruhen, in der Gunst der Verbraucher steigen. Ein Beispiel hierfür ist die Berliner Weisse, das bereits von Napoleons Truppen als «Champagner des Nordens» bewunderte Sauerbier. Mit wiedergezüchteten wilden Hefen begeistert es Bierkenner nicht nur in der Hauptstadtregion.

10. Von der Kunst des Brauens

Die deutsche Brauausbildung geniesst weltweit einen hervorragenden Ruf. Junge Menschen aus der ganzen Welt besuchen die deutschen Brauuniversitäten in Berlin und München oder absolvieren eine Ausbildung an den verschiedenen Fachhochschulen und Meisterschulen. Dass Deutschland gerade eine Renaissance des Bieres und Brauens erlebt, wird auch daran deutlich, dass sowohl die Zahl der Heim- und Hobbybrauer als auch die Gemeinschaft der ausgebildeten Biersommeliers wächst. Viele Braukurse sind auf Monate ausgebucht.

 

News

Foto: Stefanie Brückner

Vom 24. bis 25. April findet das 125. Markant Handelsforum statt. Zu erwarten sind neben zeitaktuellen Vorträgen und Innovationen für den POS auch ein praxisnaher Austausch.

Foto: Ben Pakalski

Tegut hat das Jahr 2023 mit einem Nettoumsatz von 1,28 Milliarden Euro abgeschlossen und damit das Ergebnis des Vorjahres um 2,44 Prozent übertroffen.

stock.adobe.com/Seventyfour

Nach einem Einbruch zu Jahresbeginn stabilisiert sich die Konsumstimmung in Deutschland jetzt wieder.

stock.adobe.com/Racle Fotodesign

In Österreich können biologische Lebensmittel trotz allgemeiner Teuerungen auf treue Verbraucher zählen.

Info

Das Trinkverhalten der Deutschen

Deutschland ist und bleibt ein Land der Biertrinker: 72 % der Befragten trinken hierzulande Bier. «Nein» zum Gerstensaft sagen nur 27 %. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Studie des Marktforschungsinstituts YouGov im Auftrag des Forum Getränkedose. Am liebsten trinken jene Befragten, die grundsätzlich Bier trinken, dieses zum Essen (40%), zu Feiern und Festen aller Art (39%) sowie auf Partys und in Clubs (36%). Für 39 % der Biertrinker ist die 0,33-Liter-Verpackung die bevorzugte Grösse, 55 Prozent entscheiden sich lieber für die 0,5-Liter-Einheit. 48 % der befragten Bierkäufer kaufen Bier auch in Getränkedosen. Und was halten Deutschlands Biertrinker von neuen Trends wie Craft Beer? Die Mehrheit von 56 % kennt Craft Beer bisher noch nicht. 26 % kennen es zwar schon, haben es bislang aber noch nicht gekauft. 12 % kennen Craft Beer und haben es bereits gekauft.

 
 

 

Mehr zum Artikel

Braufactum hat zwei neue Craft-Biere auf den Markt gebracht – und zwar in der Dose.

Die traditionelle belgische Klosterbiermarke Leffe ist jetzt deutschlandweit erhältlich.

Krombacher Radler gibt es jetzt auch als alkoholfreie 0,0-Prozent-Variante.