Mehrwert Gastro

Donnerstag, 06. Oktober 2016

Die Verquickung von Handel und Gastronomie bietet dem Handel die Chance der Frequenzsteigerung, aber auch der emotionalen Aufladung des Marktes als Marke. Daniel Ohr, Retail- und Gastro-Experte bei Keylens, im Interview.

Immer mehr Lebensmittelhändler setzen auf Gastro-Konzepte am Point of Sale. Unternehmen die Händler aus Ihrer Sicht genug, um das Einkaufserlebnis für die Kunden zu erhöhen?
Pauschal geantwortet nein. Bis vor ein paar Jahren war ja tendenziell die gegenteilige Stoßrichtung das Mantra in der Entwicklung von Handelskonzepten. Notwendige Effizienzüberlegungen, Fokus auf die profitablen Categories und eine immer stärkere Homogenisierung von Produkt- und Serviceangeboten haben erst zum „Nicht-Erlebnis“ geführt. Aktuell gibt es, getrieben durch die erlebte Verschiebung von Marktanteilen hin zu Online-Konzepten einen oft aktionistischen Drang mit Erlebnisangeboten etwas „zu retten“. Da wird dann in der Schnelle viel kopiert, eine ganzheitliche Beschäftigung damit, wie ein Einkaufserlebnis 3.0 aussehen muss, um in einer neuen digital massiv beeinflussten Welt zu reüssieren fehlt meistens.

Sind Gastro-Konzepte aus Ihrer Sicht eine Möglichkeit, mit der sich der stationäre Lebensmittelhandel gegenüber Online-Handel und Discount differenzieren kann?
Zuallererst finde ich, dass die Diskussion nicht sein sollte, wie man sich gegenüber jemand anderem positionieren kann, sondern wie man für seinen Kunden einen Mehrwert leisten kann. Der Handel denkt immer noch viel zu viel in Produkt und Wettbewerb und dann kommt irgendwann der Kunde. Gegen Online kann man sich meiner Meinung nach auch nicht positionieren, da die Grenzen diesbezüglich ohnehin fließend sind. Das heißt, auch wenn man nicht oder wenig Online-Umsatz macht, lebt man trotzdem in einer digitalen Welt und diesem Thema muss sich jeder Händler stellen. Es geht im Kern um ein vom Kunden her gedachtes bzw. konzipiertes Einkaufserlebnis, ganz egal was der Kunde in welchem Kanal macht. Und ja die Gastronomie ist, wenn Sie denn passend zu den jeweiligen Kunden konzipiert, und mit Leidenschaft betrieben wird, ganz sicher ein Ansatz, der echte Kundenerlebnisse generieren kann. Es geht schließlich um Emotion, Begegnung und Interaktion, also alles Kernmotive, um mit der immer dynamischeren und rationalen Umwelt einen Ausgleich zu finden.

Welche Gastro-Services halten Sie im Handel für sinnvoll?
Alle, die einen Kundenmehrwert liefern und zur Zielgruppe passen. Das geht vom gut gemachten Imbiss, um die Aufenthaltsqualität zu erhöhen, über eigenständige Restaurants, die einen eigenständigen Grund liefern, in den Store zu gehen, über Cafés, Champagner- und Bier-Bars bis hin zu ganzheitlichen Konzepten, die bestehende Ware mit Gastronomie verbinden. In Japan gibt es beispielsweise Konzepte, die das Gesundheitsbedürfnis der Kunden so erweitert haben, dass neben der „äußeren Pflege“ wie Kosmetik oder Duft auch „inner health“ angeboten wird. Und das sind dann Wasser-, Tee- sowie Saft-Bars oder Vitaminberatung.

Worin liegt aus Ihrer Sicht die Herausforderung bei In-Store-Gastronomie?
Aus meiner Sicht gibt es vier Hauptthemen. A) Das Konzept muss einen echten Mehrwert liefern, ansonsten funktioniert das Konzept schon mal grundlegend nicht. „Auch“ ein Café oder eine schlecht gemachte Bar in eine wenig produktive Fläche einzubauen ist weder ein echtes Konzept noch erfolgsversprechend. B) Das Thema Flächenrentabilität vs. Erlebnis/Emotion ist wichtig. Wenn man kein gemeinsam erarbeitetes Verständnis von den Wechselwirkungen zwischen Gastronomie und Handelsfläche hat, wird man immer die Gastronomie „wegrechnen“ C) Operative Dinge und Schwierigkeiten wie Öffnungszeiten gilt es zu beachten. Viele Konzepte leben vom Abendgeschäft und da fehlen meistens die Voraussetzungen wie etwa ein separater Eingang. Deshalb braucht man intelligente Konzepte, um diese in der Gesamtbetrachtung profitabel für das jeweilige Handelskonzept zu betreiben. D) Das jeweilige Retailkonzept, die entsprechende Gastronomie und die Zielgruppen müssen zusammenpassen, sonst kommen entweder Gäste in die Gastronomie, die letztendlich keine Cross-selling-Effekte für den Store generieren oder es kommt gleich gar niemand.

Welche Zielgruppen werden mit Gastro-Konzepten angesprochen?
Gegenfrage, welche Zielgruppe ist nicht gastronomisch affin? Also eigentlich erstmal alle. Die Gastronomie hat in den letzten Jahren eine enorme Bedeutungszunahme erfahren, Fernsehköche sind so etwas wie die neuen „Rock-Stars“, haben zum Teil so viel Facebook-Follower wie Top-Blogger, in den letzten Jahren waren immer 4-5 Kochbücher in der Liste der 50 bestverkauften Bücher in Deutschland. Das jeweilige Konzept zielt dann natürlich auf bestimmte Zielgruppen bzw. Kundenbedürfnisse ab. Also Ausruhen, Bequemlichkeit, Aufenthaltsdauer sowie das angenehme Gestalten durch ein bequemes Café vs. Sehen und gesehen werden bei einer Champagnerbar.

Stellt der Gastro-Trend des Handels eine Gefahr für Gastronomie und Gaststätten dar?
Ich glaube eher eine Chance. Letztendlich geht es immer darum, Immobilien, Innenstädte oder Stadtgebiete zu beleben. Je mehr Frequenz in einer Destination steckt, desto mehr profitieren am Ende alle. Das gilt natürlich nur bedingt, wenn alle Konzepte vor lauter „nachmachen“ das Gleiche anbieten.

Worin liegt der Gastro-Trend aus Ihrer Sicht begründet?
Der generelle Gastronomietrend hat sicher etwas damit zu tun, dass Essen und Trinken heute noch mehr für Begegnung und Interaktion stehen, etwas was durch die allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen eher zu kurz kommt. Der Trend im Handel auf Gastronomie zu setzen hat sicher etwas mit der ausgeprägten Benchmark-Freude des Handels zu tun. Erfolgreiche oder vermeintliche erfolgreiche Konzepte werden schnell - oft schlecht - kopiert, damit man das am Ende „ auch hat“. Meine Meinung ist: entweder konsequent oder gar nicht machen. Gastronomische Konzepte bieten eine Riesenchance, zum einen haben Produkte wie Schokolade, Trüffel, Kaffee, Tee, Sekt und Champagner ein enorm hohes emotionales Potenzial. Richtig inszeniert sind das immer kleine Urlaube. Und zum anderen bieten gastronomische Angebote im Rahmen einer intelligenten Marketingstrategie vielfachste Potenziale intelligente Kauf- und Frequenzanreize zu setzen und damit, anstatt in einen Wettbewerb um die höhere Rabattzahl zu treten, einen echten kundenbezogenen Anreiz zu setzen. Dafür braucht man aber ein echtes Commitment und eine wirkliche Strategie für die Einbindung der Gastronomie in das Gesamtangebot. Ansonsten sollte man andere Themen suchen, die das Einkaufserlebnis verbessern und da gibt es noch zahlreiche.

News

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Interview

Helen Drieling, Pressereferentin Bünting Unternehmensgruppe

Bei Bünting und setzen Sie bei den Vertriebskonzepten Combi (Verbrauchermarkt) und famila (SB-Warenhaus) bereits seit einiger Zeit auf die Kombination von Einkaufserlebnis und Gastronomie. Was sind die Faktoren für eine erfolgreiche Verquickung von Gastronomie und Lebensmittelhandel?
Durch veränderte Kundenbedürfnisse rückt das Thema Gastronomie  schon seit einiger Zeit verstärkt in den Fokus. Neben den klassischen Verkostungsangeboten gibt es in einigen Märkten Vorführküchen, in denen zu verschiedenen Zeiten gekocht und verkostet wird. Außerdem bieten wir den Kunden im Bereich der Vorkassenzonen – je nach Konzept und Größe des Marktes – ein oder mehrere gastronomische Angebote. Für das Combi Format zum Beispiel gehört dazu in der Regel ein Backshop mit Cafébereich.

Welche Angebote nehmen die Kunden besonders gut an? Wie differenzieren Sie sich mit Ihrem Konzept gegenüber dem Wettbewerb?
Der Kunde erwartet vom POS schon jetzt – und in Zukunft sicher verstärkt – mehr als einen reinen Point of Sale. Insbesondere im stationären Handel geht es nicht mehr um die reine Deckung des Lebensmittelbedarfs. Es gilt Mehrwerte zu schaffen, die für den Kunden erkennbaren Nutzen haben, der über den reinen Einkauf hinausgeht. Gastronomiekonzepte sind dabei sicherlich ein Ansatz. Der Supermarkt wird auch angesichts des demografischen und strukturellen Wandels immer mehr zum Ort sozialer Kontakte. Gastronomiekonzepte ermöglichen es unseren Kunden untereinander in Dialog zu treten und damit Einkaufen und soziale Kontakte zu verbinden. Das Konzept von integrierter Gastronomie im Markt wird von uns daher konsequent weiterverfolgt und entwickelt. Ein gutes Gastronomiekonzept kann damit auch für zusätzliche Kaufimpulse sorgen. Auch das Ambiente spielt bei der In-Store-Gastronomie eine wichtige Rolle. Es gilt die Balance zu finden zwischen authentischer Integration der Fläche in den Verkaufsraum und dem maßvollen Abstand zum Kundenstrom, um den Gästen eine entspannte Verweilsituation zu bieten. Es geht um Entspannung und Kommunikation während des Einkaufs. Insbesondere die Gastronomiefläche bietet dabei auch einen sozialen Treffpunkt, den es angemessen zu gestalten gilt. Wir achten daher darauf, eine hochwertige, ansprechende und gleichzeitig gemütliche Atmosphäre zu schaffen, die sich optimal in den Verkaufsraum einfügt, und den Gästen die nötige Ruhe zum Verweilen bietet.

 

Interview

In Krefeld will real ab November das neue Gastro-Konzept „Food-Lover“ umsetzen – welche Angebote umfasst das Konzept?
Wir werden frisch im Markt zubereitete Pasta und Pizza, Steaks und Burger anbieten. Wir planen eine Austern- und Sushibar, eine Weinlounge und eine „gläserne“ Vollbäckerei. Es wird Kaffee aus der hauseigenen Rösterei und Spezialitäten wie Stockfisch geben. Dabei kombinieren wir mehrere Trends: Viele Menschen wollen sich gesünder und bewusster ernähren. Zugleich haben viele Konsumenten nicht mehr die Zeit, jeden Tag zu Hause selbst zu kochen. Die Folge: Unsere Kunden wollen direkt vor Ort essen, sie wollen aber auch erleben, wie frische Produkte direkt vor ihren Augen zubereitet werden. Dadurch wird der real,- in Krefeld als „Food-Tempel“ zu einem Kundenmagnet werden. Neben den oben genannten emotionalen, inspirierenden Aspekten muss real,- auch in Zukunft die Kundengruppe adressieren, die real,- bereits heute als Einkaufsstätte Nummer 1 für einen rationalen Großeinkauf ansteuert. Aspekte, die für den rational geprägten Kundentypus relevant sind, wie zum Beispiel eine „rationale Fläche“ mit einem klar strukturierten Layout, das kostengünstige Angebote inklusive Fokusartikel und Familienpackungen vermittelt, sind daher auch Bestandteil unseres Pilotmarkts in Krefeld.

Was sind die Herausforderungen für eine In-Store-Gastronomie?
Das Konzept unterscheidet sich radikal von allen anderen Ansätzen im Handel. Daher brauchen wir ein völlig neues Set-up. Auch mit neuen Mitarbeitern, die Qualifikationen mitbringen, die wir Stand heute noch nicht beschäftigen. Bisher arbeiten in Vollzeit 170 Mitarbeiter im Krefelder Markt. 70 Mitarbeiter werden wir zusätzlich einstellen, um den neuen Serviceanspruch mit Leben zu füllen. Klar gibt es bei so einer radikalen Konzeptveränderung auch Risiken. Dafür haben wir in Deutschland bisher keine Erfahrungswerte. Aber wir müssen uns weiterentwickeln, wenn wir für unsere Kunden relevant bleiben wollen. Das Einzugsgebiet um den Markt in Krefeld ist groß und es gibt nicht nur dort, sondern an vielen Stellen in Deutschland ein großes Potenzial für unser Food-Lover-Konzept.

Wie wollen Sie sich vom Wettbewerb differenzieren?
Kein anderes Handelsunternehmen in Deutschland zelebriert Einkaufen so wie real,-. Durch unsere Sortimentsstruktur, Preise und die besondere Einkaufsatmosphäre bieten wir den Kunden ein unvergleichliches Einkaufserlebnis. Mit dem Food Lover-Konzept in Krefeld geht real,- einen weiteren Schritt nach vorne und schafft etwas Einzigartiges. Bei unseren Big-Bang-Märkten haben wir gezeigt, dass wir unser Einmaleins beherrschen. Sie stehen inzwischen für das Niveau, was wir gegenüber unseren Kunden mindestens erfüllen müssen. Jetzt starten wir eine Revolution im deutschen LEH. real,- erschafft in Krefeld den Prototypen für ein einzigartiges Konzept mit neuen, hochmodernen Lösungen, das es in Deutschland so noch nicht gibt. Mehr Service, mehr Frische und mehr Emotionen – das sind die Kernpunkte unseres neuen Food Lover-Konzepts. Unsere DNA ist Food, speziell Frische, und hier können und werden wir noch einen großen Schritt nach vorne gehen und unseren Kunden eine einmalige Inszenierung bieten, die sie in dieser Form ausschließlich bei real,- finden werden. Mit diesem neuen Hybridmodell, einem Mix aus Emotionalität und Rationalität, wird real,- etwas völlig Einzigartiges in Deutschland schaffen. real,- wird in Deutschland dieses neue Hybrid-Format nicht nur etablieren, sondern auch führend darin sein.

 

Statements

Globus
"Unsere Kunden wissen und schätzen, dass wir in unserer Globus Gastronomie zum Großteil Waren aus dem eigenen Markt in hoher Qualität verarbeiten. Hinzu kommt ein aus Kundensicht exzellentes Preis-Leistungsverhältnis. Es wird immer deutlich, dass das Restaurant zum Markt und der Markt zum Restaurant gehört. Dafür arbeiten wir ständig an neuen Konzepten. Grundsätzlich ist jeder Kunde des Marktes auch ein potentieller Kunde unserer Gastronomie. Besonders beliebt sind wir vor allem bei Familien, älteren Kunden sowie Berufstätigen, die Ihre Mittagspause bei uns verbringen."

Tegut
Tegut testet schon seit vielen Jahren verschiedene Konzepte in diesem Bereich. Es ist ein Thema was sich ständig, vor allem orientiert an den Kundenwünschen, entwickelt. Derzeit testen wir vor allem warme Produkte aus der heißen Theke und einen hohen Anteil von Convenience-Produkten in unserem neuen „Ladenkonzept 2014“, das seit 2015 flächendeckend in allen Revitalisierungen (rund 25 pro Jahr) und Neueröffnungen zum Tragen kommt. Der Test in vier Märkten erfolgte in 2014. In den Märkten nach dem neuen Ladenkonzept können die Kunden bspw. sich während des Einkaufes einen Kaffee ziehen, diesen entweder in dem Steh-/Sitzbereich an der Kaffee-Bar oder während des Einkaufes den Kaffee genießen. Bezahlt wird der Kaffee am Ende an der Kasse. In der heißen Theke finden die Kunden Produkte wie warmer Leberkäse, Roastbeef, Frikadellen oder Schnitzel. Des Weiteren bietet tegut… je nach Standort verstärkt Produkte die zum Sofort-Verzehr geeigneten sind, aber auch gekühlte Produkte, ultrafrische Produkte und Convenience-Artikel. Im Vorkassenbereich betreibt tegut… keine Gastro-Konzepte. Ruhebereich und Sitzgelegenheiten sind in fast allen unseren Märkten zu finden. Hier bieten wir den Kunden, die aufgrund ihrer körperlichen Verfassung darauf angewiesen sind, eine Möglichkeit sich setzen zu können.